Sichtprobleme beim LKW

01. Juni 2018 Fahrzeugtechnik
Zu den unangenehmsten Aufgaben eines Lkw-Fahrers gehören insbesondere Abbiegemanöver in Richtung Beifahrerseite im Stadtverkehr: Er muss gleichzeitig nach vorne Ampeln, Beschilderung, Gegen- und Querverkehr beachten, außerdem seitlich Fußgänger und Fahrradfahrer im Auge behalten. Darüber hinaus kann sich die Verkehrssituation in Sekundenschnelle ändern – und Fahrradfahrer und Fußgänger sind sich nicht immer bewusst, dass ein Lkw- Fahrer sie womöglich gar nicht entdecken kann, weil sie sich im toten Winkel des Lkw befinden.
Während ein Schulterblick durchs Fahrerfenster beim Lkw weit blicken lässt, reicht der Blick über die andere Schulter nur bis zur Kabinenrückwand in den Laderaum. Von einer theoretischen Rundumsicht von 360 Grad nimmt allein der Laderaum grob ein Drittel weg. Der Fahrer muss sich somit klassischerweise über Außenspiegel informieren, um aus den nicht einsehbaren Bereichen Informationen zu bekommen. Neben Spiegeln kommen heute immer mehr auch Kamera-Monitor-Systeme (KMS) zum Einsatz. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der optimalen Platzierung. Nutzt man zum Beispiel einen gegebenenfalls vorhandenen Monitor im Armaturenbrett? Oder ist es sinnvoller, den Monitor in der Nähe der Spiegel vorzusehen, damit der Fahrer seinen Blick zur ihm abgewandten Seite wendet, wenn er von dort Informationen benötigt? Weitere Fragestellungen betreffen die Helligkeit des Monitors und wann der Monitor welches Signal anzeigt.
Aufgrund zahlreicher Unfälle zwischen abbiegenden Lkw und Radfahrern laufen im Vereinigten Königreich derzeit verstärkte Aktivitäten, um die Sicht aus dem Lkw zu verbessern. So will man den toten Winkel fahrzeugseitig zum Beispiel dadurch reduzieren, dass die Scheibenunterkanten deutlich nach unten verlagert werden sollen. Aus der Sicht unter anderem der Unfallforscher von DEKRA ist dies grundsätzlich zu begrüßen. Zu bedenken ist allerdings, dass diese Aktivität im Moment auf eine Bauvorschrift hinausläuft, genauer gesagt auf eine „Vorgabe für die Scheibenunterkante“. Eine Wirkvorschrift wäre zweifelsohne sinnvoller. Hintergrund: Eine Bauvorschrift behindert innovative Lösungen, weil die Bauform vorgeschrieben ist. Eine Wirkvorschrift zielt auf die Erfüllung der Wirkung – die Art der gewählten Maßnahme spielt dabei keine Rolle. Tendenziell sollte man sich daher zunächst darüber im Klaren sein, was der Fahrer vor und neben seinem Fahrzeug sehen können muss. In der Konstruktion kann dann, um dies zu erreichen, die Scheibenunterkante gesenkt oder auch eine andere adäquate Maßnahme gewählt werden.
Einen wichtigen Beitrag zur Unfallvermeidung beim Abbiegen zur Beifahrerseite kann außerdem ein Abbiegeassistent mit Personenerkennung leisten, wie ihn Mercedes-Benz als erster Lkw-Hersteller auf den Markt gebracht hat. Dessen Arbeitsweise ist mehrstufig: Wenn sich beispielsweise ein Radfahrer oder Fußgänger in der Warnzone aufhält, leuchten in der A-Säule auf der Beifahrerseite LEDs in Dreiecksform gelb auf. Erkennt das System eine Kollisionsgefahr, blinkt die LED-Leuchte mit höherer Leuchtkraft rot und es ertönt von rechts ein Warnton über einen Lautsprecher der Radioanlage. Darüber hinaus können die Sensoren beim Abbiegen in der Schleppkurve des Lkw ein stationäres Hindernis wie eine Ampel oder einen Lichtmasten erkennen. Auf diese Weise lassen sich Kollisionen nicht nur im öffentlichen Verkehr, sondern auch bei Rangiermanövern etwa auf Parkplätzen vermeiden. Diese umfassende Unterstützung des Fahrers erfolgt über den gesamten Geschwindigkeitsbereich des Lkw vom Stand zum Beispiel an einer Ampel bis zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Ein System, das wesentlich dazu beiträgt, schwerste Unfälle zu verhindern. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst bald auch andere Hersteller entsprechende Systeme anbieten.