Verkehrssicherheit ist und bleibt eine globale Herausforderung

01. Sept. 2017 News & Aktionen
Weltweit rund 1,25 Millionen Verkehrstote pro Jahr bedeuten, dass auf den Straßen jeden Tag mehr als 3.400 Menschen ums Leben kommen. Wer hier effizient gegensteuern will, muss auf den verschiedensten Ebenen ansetzen. Das gilt erst recht angesichts der von Kontinent zu Kontinent ganz unterschiedlichen Voraussetzungen etwa im Hinblick auf die Infrastruktur, die Art der Verkehrsteilnahme sowie das Alter und die Sicherheitsausstattung der Fahrzeuge. Die in den vorhergehenden Kapiteln aufgezeigten „Best Practice“-Maßnahmen können hierfür wertvolle Ansatzpunkte liefern.
Ob Geschwindigkeitsbegrenzungen, Alkohol- Interlock-Programme und Alkoholkontrollen, Fahrsicherheitstrainings, öffentlichkeitswirksame Kampagnen, Verkehrserziehung schon in jungen Jahren, periodisch-technische Überwachung zur Aufdeckung von Fahrzeugmängeln, Fahrerassistenzsysteme, Barrieren zwischen Richtungsfahrbahnen, 2+1-Straßen, zusätzliche Leitplanken zum Schutz vor einem Baumanprall und vieles mehr: Wenn es um die Erhöhung der Verkehrssicherheit geht, darf man nichts unversucht sein lassen. Stets sollte dabei aber im Vorfeld genauestens analysiert werden, ob die betreffende Maßnahme für die jeweilige Problematik beziehungsweise die regionalen oder lokalen Gegebenheiten tatsächlich geeignet und damit zielführend ist. Nicht vergessen werden darf auch die „Nachsorge“, um zu prüfen, ob Maßnahmen wie erwartet wirken oder ob gegebenenfalls weitere Verbesserungen möglich sind
Vor diesem Hintergrund sind auch die in diesem Report präsentierten „Best Practice“-Beispiele aus den verschiedensten Ländern dieser Welt nicht als „Ultima Ratio“, sondern als mögliche Ansatzpunkte zur Vermeidung von Straßenverkehrsunfällen und zur Reduktion ihrer Folgen zu verstehen. Eine zum Beispiel in Schweden oder einem Bundesstaat der USA erfolgreiche Maßnahme muss schließlich nicht zwangsläufig etwa auch in einem anderen Staat beziehungsweise einer anderen Region den gewünschten Effekt erzielen.
Das hat auch mit dem teilweise höchst unterschiedlichen Mobilitätsverhalten auf der Welt zu tun. Dass beispielsweise in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern der Erde der Pkw-Motorisierungsgrad noch vergleichsweise gering ist, liegt ganz entscheidend an der oftmals angespannten finanziellen Situation vor Ort. Wer sich kein Auto leisten kann, fährt mit dem Fahrrad, mit dem Motorrad oder geht zu Fuß. Nach Angaben der WHO sind über 90 Prozent der weltweiten Verkehrstoten in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau zu verzeichnen. Dabei ist das Risiko, im Straßenverkehr ums Leben zu kommen, für ungeschützte Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer sowie Motorradfahrer besonders groß.
Eine Lösung der mit der Verkehrssicherheit verbundenen Herausforderungen in den höher motorisierten Regionen sehen mittlerweile große Teile der Politik sowie der Automobil- und Zulieferindustrie unter anderem darin, die Fahrzeuge verstärkt mit Systemen für teil-, hoch- und vollautomatisiertes Fahren auszurüsten. Zweifelsohne werden diese Systeme (neben Systemen für das assistierte Fahren) in Fahrzeugen aller Art zukünftig eine immer größere Rolle spielen, um die Straßen sicherer zu machen. Dessen ungeachtet darf dabei der nach wie vor wichtigste Faktor für Verkehrssicherheit nicht außer Acht gelassen werden: der Mensch.

Optimales Zusammenspiel von Mensch, Fahrzeug und Umfeld

Zwar soll der Mensch durch die genannten Systeme entlastet werden, auf der anderen Seite besteht aber die Gefahr, dass darunter seine Aufmerksamkeit leidet. Aus Studien von Flugzeugpiloten ist zum Beispiel bekannt, dass diejenigen, die häufig mit Autopilot fliegen, in Situationen versagen, in denen fliegerisches Können erforderlich ist. Und: Je besser die Systeme werden, desto seltener ist ein Fahrzeugführer gezwungen, selbst in das Geschehen einzugreifen. Das bedeutet: Durch die zunehmende Automatisierung des Fahrens wird es dem Fahrer vermehrt abgenommen, selbst Fertigkeiten im Umgang mit schwierigen Fahrsituationen zu erwerben und zu erhalten. Darüber hinaus kann es passieren, dass der Fahrer risikoreicher unterwegs ist, weil er sich in kritischen Situationen auf einen Eingriff der „intelligenten Systeme“ verlässt.
Stand heute sind nach der im März 2016 in Kraft getreten Änderung des „Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr“ automatisierte Funktionen im Fahrzeug dann zulässig, wenn sie vom Fahrer jederzeit manuell übersteuert oder deaktiviert werden können. Entscheidende Frage: Wie lange braucht der Mensch, um im Bedarfsfall einzugreifen, wenn ihn das System dazu auffordert? Dieser Frage sind Forscher des Lehrstuhls „Menschliche Faktoren im Verkehr“ an der Universität Southampton nachgegangen. Zu diesem Zweck sollten 26 Probanden im Alter zwischen 20 und 52 Jahren in einem Fahrsimulator etwa 30 Kilometer Autobahn mit rund 113 km/h zurücklegen. Während der Fahrt forderte der Autopilot die Probanden nach dem Zufallsprinzip immer wieder dazu auf, die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen. Die gemessenen Reaktionszeiten waren je nach Fahrer höchst unterschiedlich und betrugen bis zu 25,8 Sekunden. In diesem Fall würde das Fahrzeug über 800 Meter zurücklegen, bis eine Reaktion des Fahrers erfolgt.
Die Studie untermauert, was auch Verkehrspsychologen immer wieder aufs Neue fordern: Der Mensch darf nicht aus seiner Verantwortung für das Straßenverkehrsgeschehen entlassen werden. Er ist und bleibt das entscheidende Element für die Verkehrssicherheit. Oder anders gesagt: Verantwortungsbewusstes Verhalten gepaart mit der richtigen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und einem hohen Maß an Regelakzeptanz sind auch in Zukunft die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass möglichst immer noch weniger Menschen auf den Straßen ihr Leben lassen müssen. Darüber hinaus muss die Infrastruktur sicher gestaltet sein, wozu auch die „fehlerverzeihende Straße“ gehört.
Wie schon William Haddon Mitte des vergangenen Jahrhunderts mit der nach ihm benannten Matrix veranschaulichte, kommt es auf das optimale Zusammenspiel an von Mensch, Fahrzeug und Umfeld in den Phasen vor, während und nach einer Kollision, um Unfälle möglichst zu vermeiden oder zumindest deren Folgen so gering zu halten wie möglich. Das gilt für jedes Land dieser Erde – und für alle Arten der Verkehrsteilnahme.