Automatisierung im Straßengüterverkehr

07. Juni 2018 Faktor Mensch
Gerade das Führen von Lastkraftwagen stellt hohe Anforderungen an motorische, aber auch kognitive Kompetenzen. Aufgrund des höheren Gewichts von Fahrzeug und gegebenenfalls Ladung muss ein Lkw-Fahrer zum Beispiel weitaus vorausschauender fahren, da der Bremsvorgang etwa bei einer Gefahrenbremsung länger dauert. Neben faktischen Wissensinhalten zu den Verkehrsregeln benötigt gerade ein Berufskraftfahrer auch besondere kognitive Kompetenzen wie hohe Aufmerksamkeit, schnelle Informationsverarbeitung und gutes Orientierungsvermögen, aber auch die Fähigkeit zur Perspektivübernahme. So muss der Führer eines Lkw in der Lage sein, sich in die Perspektive anderer Verkehrsteilnehmer zu versetzen, um beispielsweise besondere Gefährdungen noch vor ihrem Eintreten vorausahnen zu können. Bei all diesen Anforderungen können die Fahrer durch Fahrerassistenzsysteme unterstützt werden.
Insbesondere im Lkw ist mit einer schnelleren und höheren Marktdurchdringung von Automatisierungstechnik zu rechnen. Das liegt unter anderem daran, dass der Gesetzgeber die verbindliche Einführung von sicherheitsrelevanten Assistenzsystemen bei der Erstzulassung vorschreibt – so zum Beispiel das Antiblockiersystem (1991), das elektronische Stabilitätsprogramm (2014) oder den Notbremsassistenten (2015). Die geschätzte Marktdurchdringung der Lkw-Assistenzsysteme ist in untenstehender Tabelle dargestellt. Mit 2,85 Prozent jährlich liegt beispielsweise die Einführungsrate von ACC leicht über der Einführungsrate von ABS (2,5 Prozent).
Wenn es um die Frage der Leistungsvoraussetzungen eines Fahrers (hoch)automatisierter Fahrzeuge geht, sollte zukünftig die Prüfung seiner Aufmerksamkeitsfunktionen einen zentralen Stellenwert einnehmen. Die ständige Systemüberwachung, die bei der Nutzung automatisierter Systeme im Fahrzeug gefordert wird, verlangt zum Beispiel besondere Fähigkeiten zur Daueraufmerksamkeit, eine Form der Aufmerksamkeit, die auch Vigilanz genannt wird. Demzufolge sollte die Vigilanz insbesondere bei Nutzern von teil- und hochautomatisierten Unterstützungssystemen im Fahrzeug überprüft werden.
Außerdem wird die Fähigkeit eines Fahrers wichtig, seine Aufmerksamkeit von einem Stimulus zu einem anderen lenken zu können („shift of attention“). In diesem Zusammenhang erlangt das sogenannte Arbeitsgedächtnis, das bislang bei der Kraftfahreignung noch keine Rolle spielt, eine besondere Bedeutung. Nach Baddeley (2012) besteht das Arbeitsgedächtnis aus vier Komponenten:
  • 1. der zentralen Exekutive, die Steuerungs- und Organisations- sowie Überwachungsaufgaben übernimmt,
  • 2.der phonologischen Schleife, die akustische und sprachliche Informationen verarbeitet,
  • 3. dem visuell-räumlichen Notizblock, der für die Verarbeitung visueller Informationen zuständig ist, sowie
  • 4. dem episodischen Puffer, der eine Verbindung zum semantischen und episodischen Wissen des Langzeitgedächtnisses herstellt. .
Aufgabe des Arbeitsgedächtnisses ist es, Informationen kurzzeitig zu speichern und sie gleichzeitig zu manipulieren. Letzteres unterscheidet es vom Kurzzeitgedächtnis, das nur der Speicherung dient. Diese Prozesse des Arbeitsgedächtnisses spielen bei den exekutiven Funktionen wie zum Beispiel dem schlussfolgernden Denken, dem Problemlösen oder dem Planen von Handlungen eine Rolle. Hier besteht also mit Blick auf die höhere Automatisierungsrate gerade im Bereich des Güterverkehrs noch Optimierungsbedarf bei der Definition der grundlegenden (kognitiven) Anforderungen an den Lkw-Fahrer und die gegebenenfalls zu prüfenden Dimensionen.
Es ist bereits absehbar, dass in Zukunft zunehmend mehr Teilaufgaben des Fahrens vom Fahrer an die eingebaute Fahrzeugtechnik abgegeben werden. Gerade im Güterverkehr wird angestrebt, vom teilautomatisierten Fahren, also der Nutzung von Fahrerassistenzsystemen, zum hochautomatisierten Fahren überzugehen, das es dem Fahrer erlaubt – zumindest in bestimmten Szenarien wie Kolonnenfahrten auf der Autobahn oder Landstraße – die Steuerung dem Fahrzeug zu überlassen. Entsprechende Forschungsprojekte sind bereits erfolgreich absolviert oder laufen derzeit noch.

Automatisierung im Fahrzeug kann Sicherheitsprobleme verursachen

Doch mit der fortschreitenden Automatisierung im Fahrzeug wandelt sich die Rolle des Fahrers vom aktiven Operateur, der das Fahrzeug bedient, hin zum passiven Überwacher. Diese Rollenänderung führt zu neuen Anforderungen an den Fahrer. Durch die passive Rolle des Überwachers sind die Aufmerksamkeit und Aktivierung des Menschen reduziert, was wiederum Sicherheitsprobleme verursachen kann. So kann sich beispielsweise ein Fahrer zu sehr auf die technische Unterstützung des Fahrzeuges verlassen – selbst dann, wenn er ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass trotz der stetigen technischen Entwicklung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, dass sein Fahrzeug alle möglichen Szenarien im aktiven Verkehrsgeschehen bewältigen kann. Die Übernahme der Fahrzeugsteuerung im Notfall fällt dann besonders schwer. Man spricht hier vom „Out of the loop“-Problem. Hiermit wird der Zustand eines Fahrers beschrieben, wenn er sich nicht an der Steuerung des Fahrzeuges beteiligen muss.
Ein Fahrer, der zeitweilig „abschalten“ durfte, muss aber zuverlässig bestimmte Fahraufgaben übernehmen, wenn das System an seine Grenzen stößt, wie zum Beispiel in sehr komplexen Situationen. Der Fahrer muss also durch das Fahrzeug wieder „in the loop“ geholt werden. Bis der Fahrer jedoch über das nötige Situationsbewusstsein verfügt, um das Fahrzeug fehlerfrei steuern zu können, vergeht Zeit. Ein Bericht der GDV aus dem Jahr 2016 widmet sich insbesondere dieser Übernahmeproblematik. Der in diesem Bericht veröffentlichte Review von verschiedenen Studien zu der Übernahmezeit vom (hoch)automatisierten Fahren zur manuellen Steuerung zeigte Verzögerungen von zwei bis 20 Sekunden, bis der Fahrer in der Lage war, der an ihn gestellten Aufgabe nachzukommen. Allerdings sind – wie die Autoren des Berichts ausdrücklich betonen – die Studien aufgrund der unterschiedlichen Versuchsbedingungen nur sehr eingeschränkt vergleichbar.
Die Automatisierung des Fahrzeugs führt darüber hinaus langfristig dazu, dass die erworbenen Kompetenzen wieder „verlernt“ oder gar nicht erst erworben werden. Dieser Effekt wird dann besonders bedeutsam, wenn ein Fahrer ein Fahrzeug manuell steuern muss, zum Beispiel weil eine automatische Funktion versagt oder es sich um einen weniger automatisierten Leihwagen handelt. Dies sind für ihn per se kritische beziehungsweise anspruchsvolle Situationen, in denen er gleichzeitig auf wenig trainierte Verhaltensmuster zurückgreifen müsste. Aufgrund der damit einhergehenden geringeren aktiven Fahrpraxis kann geschlussfolgert werden, dass beim Fahrer der Zukunft weniger fertigkeitsbasiertes Verhalten, das ja auf einer gewissen Expertise beruht, zu beobachten sein wird.
Fazit: Das Fahren (hoch)automatisierter Fahrzeuge hat zwar grundsätzlich das Potenzial, Unfälle zu verhindern, allerdings müssen die Nutzer solcher Systeme bestimmte Anforderungen insbesondere hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungen erfüllen, die bislang nicht geprüft werden. Darüber hinaus birgt die regelmäßige Nutzung von zum Beispiel „Autopiloten“ im Fahrzeug die Gefahr, dass die Fahrer ihre Fähigkeiten zum konventionellen Fahren einbüßen. Auch die Zeitverzögerung bei der Übernahme durch den Fahrer muss bedacht werden.