Aufmerksamkeit ist die beste Sicherheitsstrategie
Mit welchem Verkehrsmittel sie auch passieren: Unfälle im Straßenverkehr haben in aller Regel mehrere Ursachen – allen voran zu hohe Geschwindigkeit, Unachtsamkeit oder Alkohol. Der Mensch am Steuer ist dabei der größte Risikofaktor. Das beginnt schon bei der Frage der generellen Fahreignung und Fahrtüchtigkeit, betrifft aber ebenso Aspekte wie Tagesschläfrigkeit, Ablenkung, freiwillige Gesundheitschecks für ältere Verkehrsteilnehmer oder die Fahrausbildung.
Wer in Deutschland als Fahrzeugführer im Straßenverkehr unterwegs sein möchte, muss zuvor seine Fahrtauglichkeit unter Beweis gestellt und die obligatorische Fahrprüfung bestanden haben. Ob man allerdings überhaupt dazu geeignet ist, ein Fahrzeug zu führen, wird vor Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht generell überprüft. Im Straßenverkehrsgesetz (StVG) wird die Frage, wer zum Führen eines Fahrzeuges geeignet ist, in § 2 Abs. 4 Satz 1 beantwortet. Dort heißt es unter anderem: „Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“
In § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG wird das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ermächtigt, über die Frage der Eignung Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen. Zu diesen Rechtsverordnungen ist die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zu zählen, die in den §§ 11 bis 14 sowie den Anlagen 4, 4a, 5 und 6 die Einzelheiten der Überprüfung der körperlichen und geistigen Eignung enthält. Die Anlage 4 FeV (Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen – zu den §§ 11, 13 und 14) beinhaltet eine Aufstellung von somatischen und psychischen Erkrankungen beziehungsweise Beeinträchtigungen, bei denen sich die Frage nach der Eignung stellen kann. In dieser Aufstellung sind neben besonderen Krankheiten und Mängeln auch die Themenkomplexe Alkohol sowie Betäubungsmittel, andere psychoaktiv wirkende Stoffe und Arzneimittel enthalten.
Fahreignung versus Fahrtüchtigkeit
Bei aktenkundigen Auffälligkeiten wie beispielsweise einer Trunkenheitsfahrt oder bei bestimmten Erkrankungen – etwa Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychischen Störungen – kann die Verwaltungsbehörde in Deutschland ein ärztliches (nach § 11 FeV) oder medizinisch-psychologisches (nach § 13 FeV) Gutachten anordnen. Mit diesem Gutachten haben Betroffene die Möglichkeit, sich von den Zweifeln der Behörde an ihrer Fahreignung zu entlasten. Der Vertrag zur Erstellung eines Gutachtens wird zwischen dem Betroffenen und einer von ihm frei zu wählenden Begutachtungsstelle für Fahreignung abgeschlossen. Behördlich akzeptiert werden nur Begutachtungsstellen, die nach den fachlichen und organisatorischen Richtlinien der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) arbeiten, die auch die Grundlage für eine regelmäßige Überwachung bilden. Das erstellte ärztliche oder medizinisch-psychologische Gutachten dient der Vorbereitung der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde, ob eine Ersterteilung, Neuerteilung oder das Belassen der Fahrerlaubnis unter allen Verkehrssicherheitsaspekten gerechtfertigt ist.
In einem Fahreignungsgutachten wird abschließend eine Prognose abgegeben, ob trotz der behördlich bekannten Tatsachen (Trunkenheits- oder Drogenfahrt, Erkrankungen, Straftaten oder Verkehrsdelikte) zu erwarten ist, dass der/die Betroffene Kraftfahrzeuge sicher führen wird oder ob seine Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr darstellt. Fahreignung bezieht sich also übergreifend auf die geistigen und körperlichen Voraussetzungen, die ein sicheres Führen von Fahrzeugen gewährleisten. Die Begriffe Fahrunsicherheit, Fahruntauglichkeit und Fahruntüchtigkeit bezeichnen hingegen einen augenblicklichen Zustand, dessen Ursachen vorübergehend oder auch dauerhaft sein können. So lässt sich aus § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG rückschließen, dass vorübergehende Mängel wie etwa Übermüdung hinsichtlich der Eignung irrelevant sind, wenn der Betroffene in diesem Zustand kein Fahrzeug führt (Patermann, 2015).
Statistik zur Wirksamkeit der MPU
Dass die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) ein sinnvolles Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit darstellt, haben Evaluationsstudien mit zunehmend deutlicheren Ergebnissen gezeigt. In der aktuellsten Evaluationsuntersuchung „EVA-MPU“ (Hilger et al., 2012) wurde die sogenannte Legalbewährung von Trunkenheitsfahrern drei Jahre nach der MPU mittels Daten aus dem Kraftfahrt-Bundesamt ermittelt. Die Rückfallzahlen liegen zwischen 6,5 Prozent (erstauffällige Fahrer) und 8,3 Prozent (wiederholt auffällige Fahrer). Zu Beginn solcher Evaluationsstudien lagen diese Zahlen noch viel höher. In einer ersten MPU-Evaluation von Stephan, die bereits 1984 durchgeführt wurde, lagen die Rückfallzahlen nach drei Jahren in der Gruppe der Ersttäter noch bei 24,9 Prozent und in der Gruppe der Wiederholungstäter bei 16,7 Prozent. Dritt- und Mehrfachtäter wiesen damals sogar eine Rückfallquote von 26,7 Prozent auf. Die positive Entwicklung in Richtung stark gesunkener Rückfallquoten ist ein Beleg für die zunehmende Wirksamkeit der MPU, die unter anderem auf die konsequente Anwendung eines wissenschaftlich begründeten Kriterienkatalogs zur Beurteilung auffälliger Kraftfahrer zurückzuführen ist (DGVP & DGVM, 2013).
In Deutschland gibt es also die Möglichkeit, dass ein im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr aufgefallener Verkehrsteilnehmer sich von den Zweifeln der Fahrerlaubnisbehörde an seiner Fahreignung mithilfe einer Fahreignungsbegutachtung (MPU oder ärztliches Gutachten) befreien kann. Auf die Daten von anderen Verkehrsträgern hat die Fahrerlaubnisbehörde allerdings in aller Regel keinen Zugriff. So kann es dazu kommen, dass einem Schiffskapitän wegen Trunkenheit im Straßenverkehr seine Fahrerlaubnis entzogen wurde, er aber durchaus noch beispielsweise Kreuzfahrtschiffe steuern darf. Gleiches gilt für den Luft- und Schienenverkehr. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint es daher sinnvoll, Überlegungen zu einer möglichen „Personenprüfung“, also einer personenbezogenen Eignungsprüfung über alle Verkehrsträger hinweg, anzustellen.
Dass die Überlegung einer medizinisch-psychologischen Personenprüfstelle von Bedeutung ist, lässt sich anhand von Statistiken aus dem US-amerikanischen Raum nachvollziehen. In einer Untersuchung von 1.524 tödlich verunglückten Piloten aus den Jahren 1999 bis 2003 zeigte sich, dass 830 Piloten (52 Prozent) unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen standen (Chaturvedi et al., 2005). Von 1.353 bei Flugzeugunglücken verstorbenen Piloten aus den Jahren 2004 bis 2008 waren bei 507 Piloten Drogen und bei 92 Piloten eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,4 Promille nachweisbar (Canfield et al., 2012). Sie alle waren im Zeitraum vor dem Unglück mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Teilnehmer am Straßenverkehr. Eine Studie des National Transportation Safety Board ergab seitens der Piloten ebenfalls einen über die Jahre deutlich zunehmenden Konsum von Betäubungsmitteln und Medikamenten.
Laut der Fahrerlaubnis-Verordnung stellt der anhaltende Konsum bestimmter Medikamente die Fahreignung infrage. Ebenso verhält es sich mit Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck oder anderen kardiovaskulären Ereignissen. Anhand der eingenommenen Medikamente in dieser Studie lässt sich also schlussfolgern, dass bei den verunglückten amerikanischen Piloten neben dem Konsum von Betäubungsmitteln Erkrankungen vorliegen, die zumindest in Deutschland die Fahreignung infrage gestellt hätten, jedoch anscheinend in der flugmedizinischen Untersuchung nicht zum Flugverbot geführt haben.
Auch vor dem Hintergrund des tragischen Endes des Germanwings-Flugs am 24. März 2015 in den französischen Alpen macht es Sinn, die Prüfung einer Person, die medizinische, psychologische oder verhaltensbezogene Auffälligkeiten in einem Verkehrsbereich (Straße, Schiene, Wasser, Luft) aufweist, hinsichtlich ihrer Eignung über alle „Lenkerberechtigungen“ hinweg zumindest zu diskutieren.