ZUSAMMENSPIEL DES FAHRVERHALTENS MIT TECHNIK UND INFRASTRUKTUR
Neben den Charakteristika der Fahrradfahrer spielte auch der Fahrzeugtyp der Überholenden eine Rolle. Dabei waren Busse und Schwerlasttransporter die Fahrzeuge, die signifikant näher überholt haben. Das lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass diese Fahrzeuge durch ihre Dimensionen und langsame Beschleunigung länger brauchen, um den Überholvorgang abzuschließen, sowie stärker auf die andere Spur ausweichen müssten als kleinere Fahrzeuge. Da lange Lücken im Gegenverkehr seltener sind, wird näher am Fahrradfahrer überholt. Eine potenzielle Gefahr entsteht darüber hinaus dadurch, dass Fahrradfahrer für die Fahrer großer Fahrzeuge nicht während des gesamten Überholvorgangs sichtbar sind, was dazu führt, dass eher wieder in die ursprüngliche Spurposition eingeschert wird, obwohl der Fahrradfahrer sich noch neben dem Fahrzeug befindet. An diesem Beispiel wird besonders deutlich, dass die Anlage von separaten Radwegen für die Erhöhung der Sicherheit von Fahrradfahrern unumgänglich ist.
Horswill, M. S. et al. (2015) gehen in ihrer Studie näher auf das Zusammenspiel des Fahrverhaltens mit Technik und Infrastruktur ein. Generell führt ein Ausbau des Radnetzes zu einer Senkung von fahrleistungsbezogenen Unfallzahlen. Wenn die Radinfrastruktur eine sichere Trennung der Radfahrer vom schnellen motorisierten Verkehr ermöglicht, erhöht das die Sicherheit von Radfahrern. Dieser Effekt ist besonders stark an Kreuzungen zu beobachten, wo sich andererseits die infrastrukturelle Trennung als besonders schwierig erweist. Gestiegene Sicherheit führt dann wiederum zu einer höheren Zahl an Radnutzern. Neben Änderungen in der Radinfrastruktur sind auch Maßnahmen sinnvoll, die die Übersichtlichkeit des Straßenverkehrs verbessern, sodass verletzliche Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer nicht so leicht übersehen werden können. Unterstützend hierbei können auch Fahrassistenzfunktionen im motorisierten Fahrzeug sein, die helfen, Fahrradfahrer und Fußgänger zu bemerken. Auch wenn Radfahrer, zumindest in Deutschland, in der Regel nicht auf dem Gehweg fahren dürfen: Maßnahmen wie die Einschränkung beziehungsweise das Verbot des Gehwegparkens und die stärkere Sanktionierung bei Nichteinhalten dieses Verbots wären ebenfalls wirkungsvoll zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Zweiradfahrern.
Hamilton-Baillie, B. et al (2008) haben sich ebenfalls mit dem Kommunikationsverhalten zwischen verschiedenen Verkehrsteilnehmergruppen befasst und stellen das Konzept des „Shared Space“ vor. Dabei geht es um die Integration von Verkehrsteilnehmern an einem Ort, ohne dabei Sicherheit, Mobilität oder Zugänglichkeit einzubüßen. Insbesondere soll eine Erhöhung der Verkehrssicherheit durch gegenseitige Rücksichtnahme erreicht werden, wobei die Kommunikation untereinander die zentrale und übergeordnete Rolle spielt, da alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Zu den Gestaltungsmerkmalen gehören das Mischungsprinzip aller Verkehrsteilnehmer und damit auch ein weitgehender Verzicht auf Beschilderungen und Abgrenzungen, da alle Verkehrsteilnehmer impliziten Regeln folgen. Das Prinzip ist keinesfalls neu, sondern wird in verschiedenen Städten seit mehreren Jahrzehnten praktiziert. Positive Beispiele für die Anwendung des Konzeptes sind zum Beispiel die Laweiplein-Kreuzung in Drachten (Niederlande) oder die Blackett Street in Newcastle (England).
Typische Gestaltungsansätze für Shared Spaces sind das Herstellen von Niveaugleichheit, sodass Fußgänger und Nutzer motorisierter und nicht motorisierter Verkehrsmittel auf einer Ebene interagieren und der Verkehrsraum geschlossen und zusammengehörig wirkt, und subtile Markierungen, die darauf hinweisen, wo die jeweiligen Trennungen liegen. Das Entfernen des Großteils der Beschilderung und der Ampeln fördert die organische Kommunikation und verringert Geschwindigkeiten. Gewöhnlich stellt Shared Space eine erfolgreiche Umstrukturierung des Straßenverkehrs dar: Es kommt zu weniger Staus und durch geringere Geschwindigkeiten auch zu weniger Unfällen sowie weniger schweren Unfallfolgen. Ebenfalls ist nachweisbar, dass die Zufriedenheit aller Verkehrsteilnehmer steigt. Vor der Einrichtung eines Shared Space sollten Verkehrsplaner aber stets genau prüfen, ob es an der gewünschten Stelle auch tatsächlich sinnvoll ist.