Leben retten durch technische Sicherheit
Geht es nach der EU-Kommission, soll es bis 2050 nahezu keine Verkehrstoten mehr auf Europas Straßen geben. Um dieses Ziel zu erreichen, rücken neben den Fahrerassistenzsystemen wie zum Beispiel ESP immer stärker die nächsten Stufen des automatisierten Fahrens in den Fokus. In diesem Zusammenhang stellt sich dann ebenfalls sofort die Frage nach der Prüfbarkeit solcher Systeme. Rund um die Fahrzeugtechnik steckt darüber hinaus auch in „Connected Cars“ – durch die Möglichkeit der Kommunikation zwischen den Fahrzeugen (Vehicle to Vehicle) und von Fahrzeugen zu zentralen Systemen (Vehicle to Infrastructure) – großes Potenzial zur Vermeidung von Verkehrsunfällen ebenso wie zur effektiveren Hilfe nach einem Unfall (eCall).
Die Erkenntnisse aus der Verkehrsunfallforschung bestätigen es immer wieder aufs Neue: Die Hauptursache von Crashs mit Personen- und/ oder Sachschaden ist menschliches Versagen. Wie Statistiken immer wieder zeigen, ist der Mensch für über 90 Prozent der Unfälle verantwortlich. Dabei treten – so die Erfahrungen – vor allem Fehler im Ablauf des Wahrnehmungsprozesses, bei der Informationsaufnahme und beim Informationszugang auf. Das trifft auf Deutschland ebenso zu wie auf die meisten EU-Mitgliedsstaaten. Schaut man sich die deutschen Zahlen genauer an, lässt sich feststellen, dass 2014 von den knapp 362.000 festgestellten Fehlverhalten aller Fahrzeugführer annähernd 250.000 auf die Pkw-Fahrer entfallen. Das ist ein Anteil von 70 Prozent. Hiervon wiederum waren die häufigsten Unfallursachen das Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren sowie Ein-und Anfahren mit 18,6 Prozent, die Missachtung der Vorfahrt beziehungsweise des Vorranges mit 17,6 Prozent. Alkoholeinfluss hatte einen Anteil von drei Prozent. Erfreulich: Seit 1991 ist die Häufigkeit dieser Unfallursache bei den beteiligten Pkw-Fahrern um etwa 74 Prozent zurückgegangen. Um 64 Prozent verringert hat sich in diesem Zeitraum die Unfallursache „nicht angepasste Geschwindigkeit“. Dagegen sind bei den Pkw-Fahrern Abbiegefehler lediglich um 8,3 Prozent zurückgegangen und Abstandsfehler sogar um 2,5 Prozent gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt ausführt, zeigen einige personenbezogene Unfallursachen bei der Umrechnung auf je 1.000 Beteiligte eine deutliche Alters- oder Geschlechtsabhängigkeit: So wurden nicht angepasste Geschwindigkeit und Abstandsfehler überdurchschnittlich häufig jüngeren Fahrern vorgeworfen, während Abbiegefehler oder Vorfahrtsmissachtung mit steigendem Alter deutlich zunahmen.
Vorausschauend Gefahren erkennen
Um menschliche Unzulänglichkeiten und Fehlverhalten bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren, setzt die Automobilindustrie schon seit Jahren verstärkt auf Fahrerassistenzsysteme, die in der Lage sind, kritische Fahr- und Verkehrssituationen frühzeitig zu erkennen, vor Gefahren zu warnen und im Bedarfsfall auch aktiv in das Geschehen einzugreifen. Im Fokus stehen dabei vor allem Systeme wie Fahrdynamikregelung, Notbremssystem, Abstandsregelung, Spurhalteunterstützung und Müdigkeitswarner. Deren hohes Unfallvermeidungspotenzial ist schon in zahlreichen Untersuchungen und Studien nachgewiesen worden: Annähernd jeder zweite Unfall ließe sich vermeiden oder in seiner Schwere reduzieren, wenn innovative Fahrerassistenzsysteme konsequent zur Standardausrüstung werden. Im Hinblick auf das Fernziel der „Vision Zero“ – also keinen Getöteten und Schwerverletzten bei Straßenverkehrsunfällen – sind die elektronischen Helfer nach Ansicht der Unfallforscher als Elemente der integralen Sicherheit unverzichtbar und sollten daher noch eine deutlich höhere Marktdurchdringung erreichen. Das wird auch seitens der Politik so gesehen. Wie es in der im vorliegenden Report bereits zitierten „Halbzeitbilanz des Verkehrssicherheitsprogramms 2011–2020“ des deutschen Bundesverkehrsministeriums heißt, soll dabei insbesondere die Weiterentwicklung und Zusammenführung bestehender und bewährter Assistenzsysteme zum automatisierten und vernetzten Fahren – Stichwort: Mobilität 4.0 – nochmals deutlich vorangetrieben werden. Zusätzliche positive Effekte seien nicht zuletzt dadurch zu erwarten, dass die mit der Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen verbesserten Sensortechnologien auch in herkömmlichen Assistenzsystemen Verwendung finden werden. Dadurch ließen sich dann auch Fahrzeuge der Automatisierungsstufen 0 (nur Fahrer) und 1 (assistiert) sicherer führen.
Sicherheitsrelevante Anwendungen von Fahrerinformations- und Assistenzsystemen
- Erkennung von Ablenkung oder Müdigkeit des Fahrers mithilfe von Aufmerksamkeitserkennungssystemen verhindert entsprechende Unfälle. Zudem kann das Fahren unter Alkoholeinfluss erkannt und verhindert werden (zum Beispiel können Sensoren im Autositz und am Schalthebel Alkohol im Schweiß des Fahrers detektieren).
- Warnung des Fahrers beim unbeabsichtigten Verlassen der Fahrspur durch spezielle Warnsysteme (etwa mithilfe von GPS-Lokalisierung und Landkarten).
- Information über den Reifendruck; diese Warnung kann entscheidend sein, um Unfälle zu vermeiden. Die Daten zum Reifendruck werden durch Sensoren im Reifen gemessen und über eine Kurzstreckenkommunikationstechnologie wie beispielsweise Bluetooth an das Fahrzeug weitergeleitet.
- Beschränkung von Telefonanrufen, Textnachrichten, Instant Messaging, Internetzugriff und anderen potenziellen Ablenkungen durch Belastungsmanagementsysteme. Das System kann beispielsweise eingehende Anrufe an die Mailbox umleiten, wenn der Fahrer gerade beschleunigt, oder die Nutzung anderer Dienste verweigern, während das Fahrzeug in Bewegung ist.
- Automatische Benachrichtigung des Rettungsdienstes bei einem Unfall. Dies geschieht entweder über den standardisierten eCall-Mechanismus oder über kommerzielle Systeme, die von den Autoherstellern unterstützt werden.
- Benachrichtigung des Fahrers über den Abstand zu Objekten im Umfeld des Fahrzeugs durch Sensorsysteme zur Hinderniserkennung, die Distanzmessungen zu Objekten in der Nähe ermöglichen.
- Reduzierung der Risiken eines möglichen Unfalls durch Kollisionsvermeidungssysteme (auch als Pre-Crash-Systeme, Kollisionswarnsysteme oder Kollisionsabmilderungssysteme bezeichnet). Zur Kollisionsvermeidung werden hierbei Radar-, Lidar-, Laser- und optische Kameras eingesetzt. Bei niedrigen Fahrzeuggeschwindigkeiten (beispielsweise unter 50 km/h) können Kollisionen durch Bremsen verhindert werden.
- Einhaltung des Sicherheitsabstands zum vorausfahrenden Fahrzeug durch automatische Abstandsregelung, die die Geschwindigkeit anpasst, um einen sicheren Abstand zwischen Fahrzeugen auf derselben Fahrspur aufrechtzuerhalten. Hierfür kommen Radarsensoren und ein Längsregler zum Einsatz.
- Warnung des Fahrers vor schlecht sichtbaren Objekten beim Rückwärtsfahren mithilfe von Rückfahrsensoren.