Mobil auf zwei Rädern

08. Nov. 2020 Neuigkeiten

Ob motorisiert oder nicht motorisiert: Mit dem Zweirad unterwegs zu sein ist absolut „in“. Dazu tragen die immer größere Vielfalt an Bikes und ihre zunehmende Hightech-Ausstattung bei sowie der politische Trend, insbesondere den Radverkehr in den Städten massiv zu fördern, um so den Klimaschutz zu forcieren. Begleitet wird die Mobilität auf zwei Rädern aber immer von einem im Vergleich zum Pkw, Transporter oder Lkw deutlich erhöhten Risiko schwerer Unfälle. Denn als weitestgehend ungeschützte Verkehrsteilnehmer haben Zweiradfahrer bei einer Kollision zumeist das Nachsehen.

Weltweit entfallen seit Jahren rund 25 Prozent der getöteten Verkehrsteilnehmer auf Fahrer motorisierter und nicht motorisierter Zweiräder. Ähnlich sieht es in der EU aus, wobei zum Beispiel in Deutschland im Jahr 2019 etwa ein Drittel der Verkehrstoten bei Unfällen mit dem Fahrrad oder dem Kraftrad ums Leben kamen. Zum Vergleich: In den USA, das besagen die aktuellsten verfügbaren Daten von 2017, machten die getöteten Zweiradfahrer etwa 16 Prozent aller getöteten Verkehrsteilnehmer aus. Am höchsten sind die Unfallzahlen seit Jahrzehnten jedoch in bevölkerungsreichen Entwicklungs- und Schwellenländern mit ihrer ausgeprägten Massenmobilität auf zwei Rädern.
Wie hoch das Risiko etwa in Deutschland für Kraftradfahrer im Vergleich zu Pkw-Insassen ist, bei einem Verkehrsunfall getötet zu werden, wird deutlich, wenn man die Zahl der Getöteten in Bezug zu den zugelassenen Fahrzeugen setzt. Die Zahl der getöteten Kraftradfahrer lag insgesamt bei 605, zugelassen waren etwa 4,5 Millionen Krafträder. Die Zahl der getöteten Pkw-Insassen betrug 1.364, zugelassen waren circa 47,7 Millionen Pkw. Das bedeutet: Pro jeweils 100.000 zugelassenen Fahrzeugen kamen 13 Kraftradfahrer und drei Pkw-Insassen ums Leben. Berücksichtigt man die deutlich geringere Kilometer-Fahrleistung von Krafträdern, wird das Missverhältnis noch deutlicher. Schon vor Jahren sprach die EU-Kommission davon, dass die Wahrscheinlichkeit, im Straßenverkehr getötet zu werden, pro zurückgelegtem Kilometer für Kraftradfahrer circa 18-mal so hoch ist wie für die Insassen eines Pkw. Für Radfahrer bezifferte die EU-Kommission diesen Faktor übrigens auf das Siebenfache.
Allein schon diese wenigen Zahlen zeigen, dass in Bezug auf die Verkehrssicherheit von Zweiradfahrern nach wie vor großer Handlungsbedarf besteht, zumal die Mobilität auf zwei Rädern in den nächsten Jahren tendenziell noch weiter zunehmen wird. Das gilt für Krafträder – ob als Freizeitgefährt oder für den Weg zur Arbeit – und vor allem auch für Fahrräder mit und ohne elektrische Unterstützung. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) sind Fahrräder und E-Bikes ideale Verkehrsmittel für kurze und mittlere Entfernungen, Lastenräder – so der ZIV unter Verweis auf diverse Studien – könnten zukünftig rund 50 Prozent aller motorisierten Warentransporte in Städten übernehmen. Je mehr Radfahrer allerdings auf den Straßen unterwegs sind, desto härter wird auch der „Verteilungskampf“ um die zur Verfügung stehende Verkehrsfläche, die in vielen Regionen der Welt nach wie vor insbesondere auf die Fortbewegung mit dem Pkw ausgerichtet ist. Zusätzliches Konfliktpotenzial ergibt sich aus der zunehmenden Mikromobilität, also der Fortbewegung mit Elektrokleinstfahrzeugen wie zum Beispiel E-Scootern oder selbstbalancierenden Fahrzeugen wie Segways.
Tatsache ist: Als Verkehrsteilnehmer ohne schützende Fahrgastzelle laufen Zweiradfahrer bei Alleinunfällen und vor allem auch bei Kollisionen mit anderen Fahrzeugen stets Gefahr, schwere oder sogar tödliche Verletzungen davonzutragen. Welche Maßnahmen dazu beitragen können, dieses Risiko deutlich zu verringern, wird in den nachfolgenden Kapiteln für die verschiedenen Fahrzeugkategorien vom E-Scooter über das Fahrrad beziehungsweise das Pedelec bis hin zum Mofa, Moped und Motorrad ausführlich dargestellt.

FAHRPHYSIK SETZT GRENZEN

In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich auch, sich mit einigen fahrphysikalischen Besonderheiten von Zweirädern vertraut zu machen. Warum zum Beispiel kippen Motorräder oder Fahrräder nicht um, wenn sie geradeaus fahren? Schließlich unterliegen auch sie den Gesetzen der Schwerkraft. Einige Motorräder sind über 200 Kilogramm schwer, trotzdem lassen sie sich sicher bewegen. Fahrräder sind zum Teil auf Reifen unterwegs, die nicht breiter als 20 Millimeter sind, trotzdem lassen auch sie sich sicher und stabil fahren, und man muss nicht befürchten, einfach umzukippen. Sowohl Motorräder als auch Fahrräder stabilisieren sich bei entsprechenden Geschwindigkeiten von selbst. Der Fahrer ist also nicht permanent damit beschäftigt,die richtige Balance zu halten.
Doch wie funktioniert das genau, was wird dafür benötigt und welche Kräfte wirken dabei? Eine Bedingung, die sowohl für Motorräder als auch für Fahrräder gelten muss, damit diese sich von selbst stabilisieren, ist eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit. Erst dann wird ein Selbststeuerungseffekt hervorgerufen. Diese sogenannten Kreiselkräfte werden von rotierenden Rädern hervorgerufen und halten das System auch bei Störungen in einem stabilen Zustand beziehungsweise führen dieses in einen stabilen Fahrzustand zurück.
Ein zweiter Effekt, der Zweiräder stabilisiert, ist der Nachlauf – also der Abstand zwischen dem theoretischen Schnittpunkt der Lenkachse mit dem Boden und dem realen Radaufstandspunkt des Vorderreifens. Ein großer Nachlauf bewirkt, dass das Zweirad stabiler geradeaus fährt, verursacht jedoch einen hohen Lenkkraftaufwand wie beispielsweise bei einer „Chopper“. Ein kleiner Nachlauf macht das Fahrzeug wendiger und flinker, also leicht lenkbar, bei hoher Geschwindigkeit beim Geradeausfahren aber auch instabiler und nervöser im Fahrverhalten. Der Nachlauf bewirkt beim Kippen des Zweirads um die Längsachse eine am Aufstandspunkt des Vorderreifens angreifende und entgegen der Kipprichtung wirkende Kraft. Kippt das Fahrrad beispielsweise nach rechts, so wirkt am Radaufstandspunkt des Vorderreifens eine Kraft nach links, die den Vorderreifen um seine Lenkachse in Fahrtrichtung nach rechts einlenken lässt.
Sowohl der Nachlauf als auch die Kreiselkräfte sorgen für eine Stabilisierung beim Geradeausfahren von Fahrrädern und Motorrädern. Beide Effekte überlagern sich dabei. Üblicherweise sind die Kreiselkräfte aufgrund der höheren Geschwindigkeiten bei Motorrädern höher als bei Fahrrädern. Ab einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h stabilisiert sich ein Motorrad von selbst und würde ohne Fahrer nicht umkippen. Beim Fahrrad spielt dafür der Nachlauf eine größere Rolle. Für ein stabiles Fahrverhalten sind neben den beiden beschriebenen Effekten aber auch noch die Fahrwerksgeometrie, die Gesamtmasse und die Verteilung dieser Massen oder die Breite und Geometrie der Reifen von Bedeutung. Allesamt Fakten also, deren Berücksichtigung sowohl bei der konstruktiven Auslegung als auch im praktischen Fahrbetrieb ebenfalls dazu beiträgt, sich mit dem Zweirad sicher im Straßenverkehr zu bewegen – überall auf der Welt.