Optimierungspotenziale noch nicht ausgeschöpft
Die Erfahrung zeigt es immer wieder: Unfälle mit Nutzfahrzeugen sind häufig mit menschlichem Leid für die Beteiligten und hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Daher ist klar, dass alles getan werden muss, um für noch mehr Verkehrssicherheit auch in diesem Fahrzeugsegment zu sorgen. Wo Handlungsbedarf besteht und welche Innovationen die Hersteller und Zulieferer bereits im Angebot beziehungsweise in der Entwicklung haben, war ein zentrales Thema beim 2. DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge in Berlin.
Dr. Erwin Petersen, Vizepräsident der Landesverkehrswacht Niedersachsen, beleuchtete in seinem Vortrag die Wirksamkeit insbesondere des Notbremsassistenten (Advanced Emergency Braking System = AEBS). Nicht ohne Grund: Denn Kollisionen im Längsverkehr, bei denen ein Güterkraftfahrzeug infolge von Ablenkung, zu geringen Fahrabständen oder nicht angepasster Geschwindigkeit auf ein vorausfahrendes oder stehendes Fahrzeug vorwiegend am Stauende auffährt, bilden einen hohen Anteil an den Verkehrsunfällen mit Beteiligung von Güterkraftfahrzeugen.
Das geht aus Zahlen hervor, die im Rahmen der „Niedersächsischen Werkstatt Autobahn“ erhoben wurden. Eine hierfür durchgeführte Analyse 138 schwerer Lkw-Unfälle auf niedersächsischen Autobahnen im Jahr 2015 ergab, dass rund 50 Prozent der Getöteten – 17 von insgesamt 33 – bei Auffahrunfällen ums Leben kamen. Über 80 Prozent der Auffahrunfälle wurden durch Güterkraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen ohne AEBS verursacht. Wie Petersen ausführte, wären etwa 24 Prozent dieser Kollisionen vermeidbar gewesen, hätten die betreffenden Fahrzeuge ein AEBS nach den geltenden EU-Vorschriften an Bord gehabt. Mit zumindest als Sonderausstattung bereits verfügbaren AEBS, die Kollisionen auch mit stehenden Fahrzeugen verhindern können, wären sogar über 80 Prozent der Auffahrunfälle und der dabei Getöteten zu vermeiden gewesen.
„Um das Unfallvermeidungspotenzial möglichst auszuschöpfen, sollten alle System- und Fahrzeughersteller ihre Notbremssysteme möglichst zügig weiter entwickeln“, forderte der Verkehrssicherheitsexperte. Ebenso sollte die EU-Verordnung den technischen Möglichkeiten angepasst werden, um die breite Einführung optimaler Systeme als Standardausstattung zu unterstützen. Dies gelte vor allem im Hinblick auf die verbesserte Objekt-Identifikation stehender Fahrzeuge, die vorgelagerte optische Abstandsvorwarnung, die Weiterentwicklung und Optimierung von Übersteuerungsmethoden sowie die Nicht-Zulässigkeit der Abschaltbarkeit durch den Fahrer. Letzteres stellt offensichtlich immer wieder ein Problem dar – und zwar häufig aus mangelnder Kenntnis der Systembegriffe und der Funktionen. „Weil viele Fahrer das AEBS mit dem Abstandsregeltempomaten verwechseln, schalten sie unter Umständen völlig unnötig das lebensrettende System ab“, gab Petersen zu bedenken. Im Rahmen des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes sollten die Fahrer in diesem Punkt daher unbedingt eingehend geschult werden.