Straßen müssen Fehler verzeihen
Die Fahrzeugtechnik und der Faktor Mensch sind für die Verkehrssicherheit zwei ganz zentrale Faktoren. Wesentlich ist auch eine funktionstüchtige und effiziente Infrastruktur. Dabei gilt es, durch straßenbauliche und verkehrsregelnde Maßnahmen unfallbegünstigende Faktoren zu beseitigen und darüber hinaus Gefahrenstellen so zu entschärfen, dass bei einem Unfall die Folgen möglichst gering ausfallen. Wenn es um infrastrukturelle Maßnahmen geht, dürfen aber auch die Geschwindigkeitsüberwachung an Unfallbrennpunkten, das Rettungswesen und die größtmögliche Vereinheitlichung der Verkehrsregeln nicht außer Acht gelassen werden.
Ob mit einem Verkehrsmittel oder zu Fuß: Wer sich auf die Straße begibt, um von A nach B zu kommen, will sein Ziel sicher und unverletzt erreichen. Die Infrastruktur liefert hierzu einen ganz wesentlichen Beitrag. Die unterschiedlichsten Ansprüche der Nutzer, die oftmals begrenzten finanziellen Mittel für Planung, Erhalt sowie Neu- und Ausbau, außerdem Belange des Natur- und Umweltschutzes sowie geografische, geologische und klimatische Gegebenheiten stellen die Planer dabei vor große Herausforderungen. Gleichzeitig eröffnen sich aber durch Verbesserungen etwa bei der Verkehrstelematik und durch neue Möglichkeiten der variablen Fahrbahnnutzung zusätzliche Optionen.
Grundsätzlich sind Infrastruktur- und Verkehrswegeplanung nur mit einer langfristigen Herangehensweise möglich. Neue Technologien sowie immer schneller erfolgende Veränderungen im Mobilitätsverhalten und damit einhergehende Veränderungen beim Fuhrpark führen dabei zwangsläufig zu Problemen. Ein Beispiel stellt die vielerorts zunehmende Nutzung des Fahrrads im urbanen Bereich dar. Neben einem veränderten Umweltbewusstsein und dem Wunsch nach sportlicher Betätigung begründet sich diese vor allem auf der Erkenntnis, dass das innerstädtische Vorankommen mit dem Fahrrad zumeist deutlich schneller ist als mit dem Pkw. Eine Förderung des urbanen Radverkehrs stellt daher einen in vielerlei Hinsicht positiven Ansatz dar. Die Niederlande hatten hier in Europa schon frühzeitig eine Vorreiterrolle übernommen und können heute auf ein solides Radwegenetz mit begleitender Gesetzgebung verweisen.
Konfliktpotenzial zwischen Radfahrern und dem Kfz-Verkehr ausräumen
Dass sich der Ausbau der Radverkehrs-Infrastruktur angesichts des aktuellen Zeitgeists vielerorts gut verkaufen lässt, haben auch viele kommunale Politiker in Deutschland erkannt. Allerdings wird hier häufig durch fehlende Gesamtkonzepte und Infrastruktur den puren Willen, mit möglichst wenig finanziellen Mitteln und in kurzer Zeit möglichst viele Radwegekilometer zu schaffen, häufig das Gegenteil von Attraktivitätssteigerung, Unterstützung eines partnerschaftlichen Miteinanders und letztendlich der Verkehrssicherheit erreicht. Eindeutige Regelungen, welche Anforderungen eine Radverkehrsanlage mindestens zu erfüllen hat und wann Radverkehrsanlagen vorhanden sein müssen, schaffen für alle Beteiligten Klarheit und damit ein Mehr an Sicherheit. Nicht überall lässt sich eine räumliche Trennung von Radwegen und dem Kfz-Verkehr realisieren. Spätestens an Kreuzungen und Einmündungen kommt es zu einer Durchmischung und damit einhergehend zu Konfliktpotenzial. Dabei ist auf jeden Fall auf folgende Aspekte zu achten:
- ausreichende Breite des Fahrradstreifens, die auch einem Lastenfahrrad gerecht wird;
- Sicherheitsabstand zu parkenden Fahrzeugen zur Verringerung des Risikos durch plötzlich geöffnete Autotüren;
- eine verbleibende Fahrstreifenbreite für den Kfz-Verkehr, die ein Überholen von Fahrrädern mit ausreichendem Seitenabstand ermöglicht;
- Führung auf geeigneter und ebener Fahrbahnoberfläche ohne beispielsweise Straßenabläufe oder gepflasterte Rinnsteine.
Besteht keine Möglichkeit, eine sichere Führung für den Radverkehr zu schaffen, muss entsprechend des Rad- und Kfz-Aufkommens nötigenfalls eine geeignete Höchstgeschwindigkeit angeordnet werden. Oftmals ließen sich die Probleme aber auch dadurch lösen, dass nicht zwanghaft daran festgehalten wird, den Radverkehr auf den Hauptverkehrsstraßen zu integrieren. Durch die Schaffung einer geeigneten Radinfrastruktur auf parallel verlaufenden Nebenstraßen mit klar geregeltem Vorrang für den Radverkehr kann ein Sicherheitsgewinn für alle Verkehrsteilnehmer erzielt werden. Durch konsequente Ahndung ist gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Radwegeinfrastruktur nicht durch Falschparker oder Lieferverkehr für Radfahrer unbenutzbar wird, aber von den Radfahrern auch richtig genutzt wird.
Gute Erfahrungen mit Barrieren und 2+1-Straßen
Unterschiede bei Beschleunigungsvermögen, Wendigkeit und Geschwindigkeit spielen nicht nur für den gemischten Verkehr mit motorisierten Fahrzeugen, Radfahrern und Fußgängern, sondern auch beim klassischen Kraftverkehr eine sicherheitsrelevante Rolle. Das gilt insbesondere im Landstraßenbereich mit fehlenden oder nur eingeschränkten Möglichkeiten zum sicheren Überholen bei gleichzeitig höherem Geschwindigkeitsniveau. Wie gefährlich das sein kann, zeigt ein Beispiel aus Portugal: Dort war unter anderem ein Teil der Verbindungsstraße IC 2 zwischen Lissabon und Porto eine unfallträchtige Strecke. Innerhalb von zehn Jahren starben hier auf einem begrenzten Streckenabschnitt von nur drei Kilometern 77 Menschen. Daher wurde Ende 2015 ein Maßnahmenplan entwickelt, der die Verbesserung der Beschilderung und eine Verbreiterung der Spuren umfasste. Als ganz zentrale Maßnahme wurde der Streckenabschnitt in der Mitte zwischen den Richtungsfahrbahnen mit einer Betonschutzwand ausgestattet. Ergebnis: Während in der ersten Jahreshälfte 2015 hier acht Unfälle mit zwei Toten, zwei Schwerverletzten und drei Leichtverletzten registriert wurden, kam im selben Zeitraum 2016 kein Mensch mehr ums Leben. Die Zahl der Unfälle belief sich auf zehn, dabei gab es aber „nur“ sieben Leichtverletzte.
Positive Erfahrungen hat man mit Barrieren zwischen den Fahrbahnen unter anderem auch in den USA gemacht, zum Beispiel im Staat Missouri. Zwischen 1996 und 2004 kamen hier allein auf drei Fernstraßen bei Gegenverkehrsunfällen rund 380 Menschen ums Leben, 2.256 Verkehrsteilnehmer wurden verletzt. Daraufhin begann man damit, die Highways in der Mitte mit verstärkten Drahtseil- Barrieren auszurüsten. Mit Erfolg: Nach Angaben des Missouri Department of Transportation sank in Folge dieser Maßnahme die Zahl der bei Gegenverkehrsunfällen Getöteten von durchschnittlich 18 bis 24 pro Jahr auf einen Getöteten.
Abhilfe würde zur Vermeidung von Gegenverkehrsunfällen grundsätzlich auch ein konsequenter zweistreifiger Ausbau mit baulicher Trennung der Richtungsfahrbahnen schaffen. Allerdings ist dies aus naheliegenden Gründen des Umweltschutzes, des Flächenverbrauchs, der Kosten und auch des tatsächlichen Bedarfs abwegig. Auf stark frequentierten Strecken, insbesondere bei hohem Nutzfahrzeuganteil, bietet diese Variante aber auf jeden Fall das höchste Sicherheitspotenzial – allein wegen des nahezu gefährdungsfreien Überholens.
Das zu Beginn der 1990er-Jahre in Schweden entwickelte Prinzip der sogenannten 2+1-Straßen hat sich dort bewährt, wo ein kompletter zweistreifiger Ausbau nicht erforderlich oder möglich ist, gleichzeitig aber sichere Überholmöglichkeiten geschaffen werden sollen. Bei dieser Ausbauform wird den gegenläufigen Fahrtrichtungen abwechselnd ein zweistreifiger und dann wieder ein einstreifiger Streckenabschnitt bereitgestellt. Die konventionelle 1+1-Führung in den dazwischenliegenden Abschnitten variiert in ihrer Länge vom direkten Übergang bis zu mehreren Kilometern mit angeordnetem Überholverbot.
Die Erfahrung auf den entsprechend ausgebauten Streckenabschnitten hat gezeigt, dass die Unfallzahlen und die Schwere der Unfälle sinken und die Überholverbote hohe Akzeptanz erfahren. Größere entsprechend ausgebaute Streckenabschnitte gibt es neben Schweden in den USA, Australien, Neuseeland und Deutschland. In Schweden werden die Richtungsfahrbahnen zumeist zusätzlich durch Drahtseilbarrieren voneinander getrennt. Das Risiko von Frontalkollisionen wird so gesenkt, die Diskussion um wahrscheinlich höhere Verletzungsrisiken für Motorradaufsassen verhindert jedoch die Einführung in vielen anderen Ländern.
Die 2+1-Verkehrsführung bietet sich in abgewandelter Form auch auf Streckenabschnitten an, die durch Pendler- und Berufsverkehr vormittags in der einen und nachmittags in der anderen Richtung stark frequentiert werden. Durch eine bedarfsorientierte Nutzung des mittleren Fahrstreifens kann der Verkehrsfluss bei reduziertem Flächenverbrauch optimiert werden. Zur Vorgabe der Richtung kommen entweder elektronische Anzeigesysteme oder verschiebbare Schutzwände zum Einsatz. Prominentestes Beispiel für die Verwendung der verschiebbaren Fahrbahntrenner ist die Golden Gate Bridge zwischen San Francisco und Marin County. Die sechs Fahrstreifen können so je nach Bedarf 4+2, 3+3 und 2+4 genutzt werden. Durch das maschinelle Verrücken der Trennelemente geht dieser Vorgang sehr schnell, die Verkehrsführung ist eindeutig und das Schutzniveau ist sehr hoch. Das System bietet sich dabei nicht nur für Brücken, sondern auch für längere Streckenabschnitte an.