Technik im Dienst des Menschen
Die moderne Fahrzeugtechnik und ständig neue Entwicklungen der Automobilindustrie sowie ihrer Zulieferer haben in den letzten Jahren entscheidend zu mehr Verkehrssicherheit auf den Straßen der Welt beigetragen. Ein hohes Unfallvermeidungspotenzial bieten heute und in Zukunft insbesondere weiterentwickelte und neue elektronische Fahrerassistenzsysteme als Elemente der aktiven beziehungsweise integralen Sicherheit. Auf dem Weg zum autonomen Fahren finden schon heute immer effektivere Sicherheitssysteme Eingang in die Fahrzeuge. Lebensretter Nummer eins bleibt aber nach wie vor der angelegte Sicherheitsgurt.
Die Erkenntnisse aus der Verkehrsunfallforschung bestätigen es immer wieder aufs Neue: Die Hauptursache von Unfällen mit Personenund/ oder Sachschaden ist menschliches Versagen. Im Durchschnitt ist der Mensch für über 90 Prozent der Unfälle verantwortlich. Dabei treten – so die Erfahrungen – vor allem Fehler im Ablauf des Wahrnehmungsprozesses, bei der Informationsaufnahme und bei der Informationsverarbeitung auf. Um menschliche Unzulänglichkeiten und Fehlverhalten bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren, setzt die Automobilindustrie schon seit Jahren verstärkt auf Fahrerassistenzsysteme, die in der Lage sind, kritische Fahr- und Verkehrssituationen frühzeitig zu erkennen, vor Gefahren zu warnen und im Bedarfsfall auch aktiv in das Geschehen einzugreifen. Also Systeme wie elektronisches Fahrdynamikregelsystem, Geschwindigkeitswarner, Notbremssystem, Spurhalteunterstützung, Alkohol-Interlock, automatisches Notrufsystem beziehungsweise E-Call für alle Fahrzeuge inklusive Motorräder, schwere Nutzfahrzeuge und Busse, Gurtwarner für alle Fahrzeuginsassen und Reifendruckkontrollsystem.
EU fordert verpflichtenden Einbau von Assistenzsystemen
Angesichts der Tatsache, dass die Fahrzeugtechnik beziehungsweise Technologien der aktiven und integralen Sicherheit nachhaltig zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen, macht sich auch die EU-Kommission für den verstärkten Einsatz und zukünftig möglicherweise verpflichtenden Einbau von Fahrerassistenzsystemen stark. Das geht aus ihrem im Dezember 2016 veröffentlichten Bericht an das Europäische Parlament und den Rat („Rettung von Menschenleben: Mehr Fahrzeugsicherheit in der EU“) hervor. Darin hat die Kommission vier wesentliche Aktionsbereiche mit 19 spezifischen Maßnahmen zur Verbesserung der Fahrzeugsicherheit identifiziert. Als wichtigster Bereich werden die sogenannten „aktiven“ Sicherheitsmaßnahmen bewertet, die Unfälle gänzlich verhindern können, statt lediglich deren Folgen abzumildern. Dazu zählen automatische Notbrems-Assistenzsysteme, intelligente Geschwindigkeitsanpassung, Spurhalteassistenzsysteme, Fahrerzustandserkennung und Ablenkungsüberwachung.
Die sogenannten „passiven“ Sicherheitsmaßnahmen zur Unfallfolgenminderung umfassen Notbremsanzeige (blinkende Bremslichter/ automatische Aktivierung der Warnblinkanzeige), Gurtwarner, Ausschöpfung von Potenzialen bei der Ausgestaltung der Fahrgastzelle (durch Frontal-, Seiten- und Heckaufpralltests), Standardisierung alkoholempfindlicher Wegfahrsperren, Unfalldatenspeicher und Reifendrucküberwachung. Die in Betracht gezogenen Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit von Lkw und Bussen betreffen die Einführung beziehungsweise Verbesserung von: Frontdesign und direktem Sichtbereich, hinterem Unterfahrschutz für Lkw und Anhänger, seitlichen Schutzvorrichtungen (Seitenschutz) und Brandschutz für Busse. Für die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern sind schließlich vorgesehen: Einführung einer Fußgänger- und Radfahrererkennung (mit Kopplung an automatische Notbrems-Assistenzsysteme), auf den Anprall von Fußgängern und Radfahrer optimiertes Frontdesign sowie die Erkennung von hinter Fahrzeugen befindlichen Personen beim Rückwärtsfahren.
In ihrem Bericht regt die EU-Kommission auch die bessere Verfügbarkeit fundierter und differenzierter EU-weiter Unfalldaten an. Derartige Daten sind eine Grundvoraussetzung für die Ausarbeitung und Überwachung der EU-Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit. Konkret sind die Daten erforderlich, um die Wirksamkeit in Bezug auf Straßenverkehrs- und Fahrzeugsicherheit zu bewerten und die Entwicklung weiterer Maßnahmen zu unterstützen.
Sicherheitssysteme retten viele Menschenleben
Wie schon in den DEKRA Verkehrssicherheitsreports der letzten Jahre mehrfach ausgeführt, setzen die heutigen Fahrerassistenzsysteme eine lange Reihe von Meilensteinen fort, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Fahrzeuge immer sicherer werden. Beispielhaft seien hier nur genannt: die bereits 1902 erfundene Scheibenbremse, der Ende der 1940er-Jahre entwickelte Radialreifen, die 1951 zum Patent angemeldete gestaltfeste Fahrgastzelle mit Knautschzonen vorne und hinten, der 1959 patentierte Dreipunkt-Sicherheitsgurt, die 1963 zum Patent angemeldete Sicherheitslenkwelle für Fahrzeuge, der 1971 patentierte Fahrer-Airbag, das ab 1978 in Fahrzeuge eingebaute Antiblockiersystem ABS oder das 1995 eingeführte Elektronische Stabilitätsprogramm ESP.
In welchem Maße in den letzten Jahrzehnten vor allem Systeme wie Sicherheitsgurte, Airbags und Sicherheitslenksäulen für mehr Verkehrssicherheit gesorgt haben, zeigt eine Studie der US-amerikanischen National Highway Traffic Safety Administration. Danach wurden allein in den USA durch die unterschiedlichsten Systeme zwischen 1960 und 2012 über 600.000 Menschenleben gerettet (Schaubild 22). Sicherheitsgurte, Frontairbags und Sicherheitslenksäulen machen dabei nahezu 75 Prozent aus. Ein zukünftig immer höheres Unfallvermeidungspotenzial wird der Studie zufolge vor allem auch Systemen wie ESC zugeschrieben. Die NHTSA schätzt, dass damit die Unfallzahlen von Pkw um 34 Prozent und die von SUV sogar um 59 Prozent reduziert werden können. Bei einer Marktdurchset- zung von 100 Prozent in Pkw könnte ESC jährlich in den USA zwischen 5.300 und 9.600 Menschenleben retten. Zu bedenken ist freilich stets, dass es bei neuen Sicherheitssystemen in der Regel mindestens sechs bis zehn Jahre dauert, bis sie in der Mehrheit der Fahrzeuge vorhanden sind. Ab dem Zeitpunkt der vorgeschriebenen Ausrüstung vergehen rund 15 Jahre, bis das jeweilige System eine ausreichend hohe Marktdurchsetzung erreicht hat.
Tests zur Information der Verbraucher über die Sicherheit von PKW
Dass die heutigen Fahrzeuge über ein so hohes Maß an Sicherheit verfügen, ist neben der stetigen Fortschreibung des internationalen Regelwerks in erster Linie den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Hersteller und Zulieferer zu verdanken. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang gesetzliche Mindeststandards und unabhängige Tests. Wegweisend waren und sind die erstmals 1978 in den USA unter Federführung der National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) durchgeführten NCAP-Tests. NCAP steht hierbei für „New Car Assessment Program“. Am Anfang ging es allein um die öffentliche Darstellung der passiven Sicherheit. Dazu werden bis heute kontinuierlich neue Fahrzeuge verschiedener Hersteller diversen Crashtests unterzogen und die Ergebnisse einheitlich bewertet. Die Tests basieren auf den mit Federal Motor Vehicle Safety Standards (FMVSS) beschriebenen und gesetzlich verbindlichen Konstellationen, wobei meist erhöhte Anprallgeschwindigkeiten gewählt werden. Beim NCAP werden die Ergebnisse in einer Gesamtbewertung der „crashworthiness“ zusammengefasst und mit Sternen veranschaulicht. Diese im Hinblick auf einfache Information des Verbrauchers gewählte Bewertung reicht von einem Stern (Insassenrisiko schwerer Verletzungen sehr groß) bis zu fünf Sternen (Insassenrisiko schwerer Verletzungen sehr gering).
Auch in vielen weiteren Regionen der Welt findet das NCAP als bewährte „Best Practice“ Anwendung. Seit 1992 wird zum Beispiel das Australian NCAP durchgeführt, 1993 erweitert auf die Region Australasien (ANCAP). 1995 startete das Japan New Car Assessment Program JNCAP, 1996 dann in Europa das Euro NCAP. Seit 1999 gibt es ein ebenfalls an Euro NCAP orientiertes Korean New Car Assessment Program, und auch das in China etablierte staatliche NCAP wurde inzwischen weitgehend an die Standards des Euro NCAP angepasst. Insgesamt erweist sich die Etablierung von NCAP als effektive Maßnahme für eine deutliche und nachhaltige Verbesserung der Fahrzeug- und Verkehrssicherheit. Das zeigt sich auch in der EU, wo insbesondere die Zahl der getöteten Pkw-Insassen seit Jahren deutlich stärker zurückgeht als beispielsweise diejenige der Motorrad-Aufsassen, Fußgänger oder Radfahrer.
Das US-amerikanische Insurance Institute for Highway Safety (IIHS) führt seit 1995 ebenfalls vergleichende Crashtests durch. Hier kam zunächst ein versetzter Frontalanprall mit 40 Prozent Überdeckung und 64 km/h Anprallgeschwindigkeit zur Anwendung. 2003 wurde zusätzlich ein Test eingeführt, bei dem eine fahrende Barriere mit 50 km/h gegen die Seite des Fahrzeugs prallt. Seit 2012 ergänzt ein zweiter Frontalanpralltest mit ebenfalls 64 km/h Anprallgeschwindigkeit, aber nur 25 Prozent Überdeckung das Programm. In das IIHS-Rating gehen neben den aus Dummy-Belastungen abgeleiteten Verletzungsrisiken Bewertungen der Funktion des Rückhaltesystems und des Strukturverhaltens der Fahrzeugkarosserie ein. Die Resultate werden in vier Kategorien von „gut“ bis „schlecht“ eingeteilt.