Unterfahrschutz und Seitenschutz von LKW

01. Juni 2017 Fahrzeugtechnik
Im Zusammenhang mit der Fahrzeugsicherheit dürfen auch Optimierungen an Güterkraftfahrzeugen nicht vergessen werden. Schwere Lastkraftwagen sind zwar eher selten an Verkehrsunfällen beteiligt. Sie sind jedoch wegen ihrer großen Massen und typischerweise an den Seiten und am Heck offener Rahmenbauweise weniger kompatibel mit anderen Verkehrsteilnehmern. Für ungeschützte Verkehrsteilnehmer und Pkw-Insassen können deshalb die Folgen von Kollisionen besonders schwer sein. In gewissen Grenzen konnten die Risiken im Bereich der passiven äußeren Sicherheit durch einen vorderen und hinteren Unterfahrschutz sowie seitliche Schutzvorrichtungen verringert werden. Obwohl moderne Fahrerassistenzsysteme zur Unfallvermeidung und auch Folgenminderung das weitaus größere Potenzial haben, bleiben diese mechanischen Einrichtungen der passiven Sicherheit auch in Zukunft als „mechanische Rückfallebene“ unverzichtbar.
Heckkollisionen von Pkw mit schweren Lkw und Anhängern können aufgrund mangelnder Kompatibilität fatale Folgen haben. Wie Experten der Bundesanstalt für Straßenwesen ermittelten, erleiden bei solchen Unfällen sechs von zehn beteiligten Pkw-Insassen schwere oder tödliche Verletzungen, wobei jährlich circa 30 bis 35 Pkw-Insassen getötet werden. Bezogen auf das Jahr 2015 entspricht dies rund zwei Prozent aller 1.620 getöteten Pkw-Insassen. In den USA lag dieser Prozentsatz im Jahr 2015 sogar bei 16,1 Prozent.
Typisch sind Unfälle auf Autobahnen, bei denen ein Pkw gegen das Heck eines Sattelaufliegers prallt. Im Durchschnitt beträgt dabei die Geschwindigkeit des Güterkraftfahrzeugs 80 km/h und die des Pkw 125 km/h – entsprechend einer relativen Anprallgeschwindigkeit des Pkw von 45 km/h.
Grundlegende Erkenntnisse aus dem Unfallgeschehen und frühen Crashtests an der Technischen Universität Berlin führten bereits in den 1970er-Jahren unter Mitwirkung der Bundesanstalt für Straßenwesen zur Einführung des Heckunterfahrschutzes. Mit der Richtlinie 70/221/EWG lag erstmals eine in den Staaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft international anerkannte technische Beschreibung für einen Heckunterfahrschutz vor. Bei der nationalen Umsetzung in den Mitgliedsstaaten erfolgte dies zumeist als Bauvorschrift wie zjm Beispiel durch die Umsetzung in deutsches Zulassungsrecht im Jahr 1975 mit Einführung des § 32b der Straßenverkehrszulassungs- Ordnung (StVZO): „Der Unterfahrschutz muss die Biegefestigkeit eines Stahlträgers besitzen, dessen Querschnitt ein Widerstandsmoment gegen Biegung von 20 cm³ aufweist“.
Mit der auch außerhalb Europas anerkannten, 1983 veröffentlichten UNECE-R 58 wurden Wirkvorschriften vereinbart. Das Prüfverfahren wird bis heute angewandt. Demnach sind nacheinander quasistatische Kräfte in fünf symmetrisch angeordneten Lasteinleitungspunkten aufzubringen. Da die nicht ausreichende Wirkung des Heckunterfahrschutzes im realen Unfallgeschehen immer wieder Anlass zur Kritik gab, wurden die Prüflasten mehrfach vergrößert. Aktuell gelten die Anforderungen nach UNECE- R 58-03. Damit sind nun die Prüflasten des Heckunterfahrschutzes größer als die des im Jahr 2000 mit der Richtlinie 2000/40/EG gesetzlich vorgeschriebenen Frontunterfahrschutzes mit Anforderungen nach UNECE-R 93. Zur Umsetzung der aktuellen Anforderungen an den Heckunterfahrschutz nach UNECE-R 58-03 im Rahmen der Fahrzeugtypgenehmigung gelten verschiedene Fristen bis 2019 beziehungsweise 2021.
Der Heckunterfahrschutz ist ein typisches Beispiel für die stetige Weiterentwicklung von Sicherheitseinrichtungen an Fahrzeugen: Zunächst werden neue Maßnahmen vorgeschlagen und verhandelt. Das Ergebnis ist oft ein erster Kompromiss, der sich im realen Straßenverkehr bewähren muss. Es gehört zu den ständigen Aufgaben der Unfallforschung, die Wirksamkeit solcher Maßnahmen zu überprüfen und bei Bedarf Nachbesserungen sowohl an den Fahrzeugkonstruktionen als auch bei den Prüfvorschriften vorzuschlagen. Heute gilt als allgemein anerkannt, dass ein Heckunterfahrschutz eines damit ausgerüsteten Lkw mindestens einem mit 56 km/h Differenzgeschwindigkeit an dessen Heck anprallenden Pkw mittlerer Größe hinreichend Widerstand bieten muss. Dann können dessen vordere Deformationszone und Rückhaltesysteme wie vorgesehen wirken und seine Insassen schützen. Ebenfalls im Sinne der Kompatibilität ist ein hinreichender Insassenschutz des Personenkraftwagens gefordert, der sich mindestens an den Vorgaben der UNECE-R 94 (Frontalanprall mit 56 km/h an einer fest stehenden Barriere) orientieren soll. Bei größeren Geschwindigkeiten können automatische Notbremssysteme helfen, bereits vor der Kollision die kinetische Energie so weit wie möglich zu verringern.
Die Leistungsfähigkeit des Frontunterfahrschutzes nach UNECE-R 93 ist allgemein als ausreichend akzeptiert, was auch damit zusammenhängt, dass die konstruktiven und geometrischen Verhältnisse an der Front eines schweren Lastkraftwagens weitgehend einheitlich und günstig sind. Wesentlich vielfältiger und ungünstiger sind die Verhältnisse am Heck, vor allem bei Anhängern mit langem hinterem Überhang. Fatale Heckunterfahrungen sind deshalb, insbesondere bei größeren Anprallgeschwindigkeiten auf Autobahnen, auch in der Zukunft nicht vollständig auszuschließen.

Verschärfung der Anforderungen an den Seitenschutz

An Front- und Heckunterfahrschutzeinrichtungen im Geltungsbereich des EU-Genehmigungs- Verfahrens und nach UNECE-R 58 beziehungsweise UNECE-R 93 werden nach wie vor keine Anforderungen an eine kontrollierte Energieaufnahme gestellt. Mit Berechnungen und Crashtests ist in den zurückliegenden Jahrzehnten mehrfach nachgewiesen worden, dass sich dadurch einerseits die Belastungsspitzen der mechanischen Strukturen verringern und zudem für die Rückhaltung der Insassen im Personenkraftwagen ein wertvoller zusätzlicher Verzögerungsweg entsteht. Im Sinne von „Best Practice“ kann der US-amerikanische Standard FMVSS 223 als Vorbild dienen. Hier wird anhand der Kraft- Weg-Linie die während der statischen Belastung einzelner Prüfpunkte aufgenommene Deformationsarbeit ermittelt und mit einem vorgegebenen Mindestwert verglichen.
Den geltenden europäischen Vorschriften entsprechend sollen Front- und Heckunterfahrschutzeinrichtungen an einem schweren Lastkraftwagen (Klassen N2 und N3) beziehungsweise Anhänger (Klassen O3 und O4) anprallenden Fahrzeugen der Klassen M1 (Pkw) und N1 (leichte Lkw bis 3,5 t) einen ausreichenden Schutz davor bieten, unter das Fahrzeug zu geraten. An seitliche Schutzvorrichtungen, die in Deutschland nach StVZO § 32c seit 1992 vorgeschrieben sind, werden wesentlich geringere mechanische Anforderungen gestellt. Hierzu geben die Richtlinie 89/97/EWG beziehungsweise die UNECE- R 73 vor, dass damit Fußgängern, Fahrradfahrern und Motorradfahrern ein wirksamer Schutz vor der Gefahr geboten werden soll, seitlich unter das Fahrzeug zu geraten und von dessen Rädern überrollt zu werden. Bei der Genehmigungsprüfung gilt eine solche Einrichtung als geeignet, wenn sie einer rechtwinklig von außen an beliebiger Stelle aufgebrachten Kraft von 1 kN widerstehen kann.
Neben der mechanischen Belastbarkeit werden auch geometrischen Anforderungen an Unterfahrschutzeinrichtungen und seitliche Schutzvorrichtungen gestellt. Ein wichtiges Maß ist dabei der Bodenabstand. Er darf beim Frontunterfahrschutz maximal 400 mm betragen und beim Heckunterfahrschutz, je nach fahrzeugspezifischen Gegebenheiten, 450 mm bis 500 mm. Für den Seitenschutz sind als maximaler Bodenabstand 300 mm vorgegeben. Unfallforscher haben bereits mehrfach eine Verschärfung der Anforderungen an den Seitenschutz gefordert. Aktuell steht das Thema auch auf der Agenda des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC. In seinem im März 2015 veröffentlichten Positionspapier zur Überarbeitung der General Safety Regulation 2009/661 fordert der ETSC unter anderem, dass die Festigkeit von seitlichen Schutzeinrichtungen im Hinblick auf den Anprall von Motorrädern verbessert werden soll.

Retroreflektierende Einrichtungen an Nutzfahrzeugen

Zahlreiche Lkw-Unfälle ereignen sich bei ungünstigen Witterungsverhältnissen, Dämmerung und Dunkelheit. Eine Ursache dafür ist unter anderem die oft unzureichende Erkennbarkeit der Fahrzeuge als langsamer fahrende Lkw – mit der Gefahr, dass nachfolgende Fahrzeuge auffahren. Vor diesem Hintergrund gibt es bereits seit einigen Jahren auch international einheitliche Vorschriften für die besondere Kenntlichmachung von schweren und langen Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern mittels retroreflektierender Markierungen. Dabei wird eine Verbesserung der Sichtbarkeit durch „Konturmarkierungen“ aus retroreflektierenden Folien erreicht, welche die Kontur eines Fahrzeugs zur Seite und nach hinten kenntlich machen. Lkw sind so früher zu erkennen, insbesondere wenn sie nach einem Unfall – dann oft ohne die eigene aktive Beleuchtung – undefiniert im Verkehrsraum zum Stehen (oder Liegen) kommen. Die Konturmarkierung bedeutet somit einen signifikanten Sicherheitsgewinn insbesondere durch die wesentlich verbesserte Einschätzung von Abstand und Geschwindigkeit für den nachfolgenden Verkehr.
Weitverbreitet sind ebenfalls retroreflektierende rot-weiße Warnmarkierungen (Sicherheitskennzeichnungen) an Fahrzeugen, die dem Bau, dem Unterhalt oder der Reinigung von Straßen oder von Anlagen im Straßenraum dienen. Sie ergänzen zum Beispiel gelbe Rundumkennleuchten. Ebenfalls sind zahlreiche Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr sowie von Rettungs- und Pannendiensten neben blauen oder gelben Kennleuchten mit spezifischen retroreflektierenden Markierungen zur Verbesserung der Sichtbarkeit insbesondere bei nächtlichen Einsatzfahrten und zur Kontrasterhöhung am Tag ausgestattet.