DEKRA Fahrversuche mit Schwerpunkten auf Bremsen, Reifen und ESP
Um den Einfluss des Fahrzeugzustands und der Ausstattung auf sicherheitsrelevante Fahrmanöver zu verdeutlichen, hat DEKRA für diesen Report eine Reihe an Fahrversuchen durchgeführt. Als Testfahrzeuge verwendeten die Experten im DEKRA Technology Center am DEKRA Lausitzring in Brandenburg Gebrauchtwagen, die bei jungen Fahranfängern wegen geringer Anschaffungskosten sowie durch ein zum Teil sportliches Image oder den Ruf besonderer Zuverlässigkeit sehr beliebt sind. Vor der ersten Versuchsreihe wurden an den Fahrzeugen keine Veränderungen vorgenommen, lediglich der Reifeninnendruck wurde entsprechend den Herstellervorgaben eingestellt. Der Fokus lag auf den Baugruppen Bremsen, Federn/Dämpfer und Bereifung. Alle Fahrzeuge hatten eine gültige Hauptuntersuchung und einen der jeweiligen Fahrleistung entsprechenden Gesamtzustand. Bewusst wurden keine Fahrzeuge gewählt, deren Bereifung in einem schlechten Zustand war. Die Profiltiefe ist bei den Versuchsbeschreibungen einzeln aufgeführt. Die Temperaturen bei den Tests lagen zwischen drei und fünf Grad Celsius.
Mit einem VW Golf VII wurden vergleichende Bremsversuche auf nasser, sehr griffiger Asphaltfahrbahn durchgeführt. Die Ursprungsbereifung bestand aus Ganzjahresreifen einer Premiummarke mit einer minimalen Profiltiefe zwischen 4,8 und 4,0 Millimetern. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h betrug die Bremsweglänge in mehreren Versuchen auf nasser Fahrbahn nahezu konstant 44,4 Meter. Anschließend wurden Reifen, Bremsen und Stoßdämpfer erneuert. Die Reifen wurden durch neue Winterreifen einer Premiummarke ersetzt. Die Bremsweglänge konnte so auf durchschnittlich 38,7 Meter reduziert werden.
Vollbremsung aus 160 km/h: Mit erneuerten Reifen, Bremsen und Stoßdämpfern verringert sich der Bremsweg deutlich
In der gleichen Versuchskonstellation wurde mit demselben Fahrzeug auch mit der Bremsausgangsgeschwindigkeit von 160 km/h gefahren. Hier reduzierte sich der Bremsweg durch die Erneuerungen von 111,0 auf 98,3 Meter. Die Bremsweglänge ließ sich somit bei beiden Geschwindigkeiten um etwa 11 bis 13 Prozent verringern. Dies entspricht einem enormen Sicherheitsgewinn. Das wird angesichts der Restgeschwindigkeit deutlich, die das unreparierte Fahrzeug an der Stelle noch hatte, an der es mit erneuerten Teilen bereits zum Stillstand kam. Bei der Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h betrug sie noch fast 30 km/h, bei der Ausgangsgeschwindigkeit von 160 km/h sogar rund 55 km/h. Auf Fahrbahnoberflächen mit weniger griffigem Belag als dem der verwendeten Teststrecke erhöhen sich die Bremsweglänge und somit auch der Mehrwert der durchgeführten Wartungsarbeiten.
ZUSTAND VON DÄMPFERN UND FEDERN HAT GROSSEN EINFLUSS AUF FAHRSICHERHEIT
Mit einem Honda Jazz haben die Experten von DEKRA einen doppelten Fahrspurwechsel gefahren. Hierbei wird eine Ausweichreaktion auf ein plötzlich auf der Fahrbahn erscheinendes Hindernis mit anschließendem Zurücklenken auf den ursprünglichen Fahrstreifen simuliert. Ein ähnlicher Testaufbau ist umgangssprachlich als „Elchtest“ bekannt. Beim Durchfahren des mit Pylonen markierten Fahrkurses mit immer höheren Geschwindigkeiten wird die Fahrstabilität von Fahrzeugen getestet. In dem verwendeten Testfahrzeug war kein ESP verbaut. Neben dem Reifenzustand – hier insbesondere Alter, Profilierung und Profiltiefe – spielt der Zustand von Dämpfern und Federn eine entscheidende Rolle. Sie sorgen dafür, dass der Kontakt zwischen Reifenaufstandsfläche und Fahrbahn auch bei schnellen Lastwechseln erhalten bleibt.
Als Teststrecke diente ein Bereich des Testgeländes, auf dem die Fahrbahnbeschaffenheit den Vorgaben des entsprechenden ISO-Standards entspricht. Die Fahrbahnoberfläche wurde bei allen Versuchsfahrten identisch bewässert. Im Originalzustand war das Fahrzeug mit Ganzjahresreifen ausgerüstet. Die Profiltiefe lag bei allen Reifen bei mindestens fünf Millimetern. Insgesamt zeigte das Fahrzeug ein sehr gutmütiges Fahrverhalten. Mit dem Auto konnte der Parcours ohne Reparaturmaßnahmen bis zu einer Geschwindigkeit von 65 km/h durchfahren werden, bei höheren Geschwindigkeiten brach das Fahrzeug aus.
Nach der Erneuerung von Bremsen, Reifen und Stoßdämpfern war ein Durchfahren mit 70 km/h möglich. Zum Einsatz kamen neue Ganzjahresreifen eines namhaften Herstellers. Dabei ist zu bedenken, dass die Fahrten von einem professionellen Testfahrer durchgeführt wurden und die Bereifung der ersten Versuchsreihe eine gute Profiltiefe aufwies. Bereits für erfahrene „Normal“- Fahrerinnen und -Fahrer ist ein sicheres Durchfahren eines solchen Parcours – oder eben das Ausweichen in einer realen Notsituation – in diesem Geschwindigkeitsbereich kaum möglich. Für unerfahrene Fahranfänger ist im Ernstfall schon bei weitaus geringeren Geschwindigkeiten mit einem Kontrollverlust zu rechnen. Das Mehr an Sicherheit, das dabei durch die ersetzten Teile gewonnen wird, ist nicht zu unterschätzen.
Im ursprünglichen Zustand bricht das Versuchsfahrzeug beim „Elchtest“ bei 70 km/h aus – und das mit einem professionellen Testfahrer. Für Fahranfänger wäre das Fahr-zeug in einer solchen Situation schon bei deutlich geringeren Geschwindigkeiten nicht mehr kontrollierbar.
ESP KANN SCHLEUDERUNFÄLLE ODER ABKOMMEN VON DER FAHRBAHN VERHINDERN
Welche enorme Bedeutung ein guter Fahrzeugzustand im Bereich Fahrwerk, Bremse und richtiger und guter Bereifung für die Effektivität eines verbauten ESP hat, zeigt der dritte durchgeführte Versuch. Der verwendete BMW 1er (E87) war mit Markensommerreifen ausgerüstet. Auf der Vorderachse betrug die Profiltiefe 2,2 beziehungsweise 2,6 Millimeter, auf der Hinterachse 1,7 und 2,0 Millimeter. Der Pkw wurde auf nasser Asphaltfahrbahn je dreimal auf 130 km/h beschleunigt. Durch einen Lenkroboter wurde an definierter Stelle ein schnelles sogenanntes Sinuslenkmanöver mit verlängerter Haltezeit und einer Lenkwinkel-Amplitude von 125 Grad eingesteuert. Vom Fahrmanöver her entspricht dies in etwa einem ruckartigen Ausweichen. Normalerweise ist es mit ESP in dieser Situation kein Problem, das Fahrzeug stabil zu halten. Doch obwohl das ESP ordnungsgemäß funktionierte, brach das Fahrzeug bei mehreren Versuchsfahrten aus. Das zeigt, dass auch die ESP-Regelung nur in den Grenzen wirksam wird, innerhalb derer Fahrwerk, Bremsen und Reifen die entsprechenden Kräfte auf die Fahrbahn übertragen können.
FAHRPHYSIK SETZT GRENZEN
Für die zweite Versuchsreihe wurden Bremsen und Stoßdämpfer erneuert sowie die Räder mit neuen Reifen des gleichen Typs ausgestattet. Bei allen drei Versuchsfahrten nach der Reparatur kam es zu keinem Zeitpunkt zu einem Verlust der Bodenhaftung. Das Fahrzeug wurde vom ESP konsequent eingefangen und blieb stabil. Eine weitere Versuchsreihe wurde zur Verdeutlichung der Effektivität des ESP durchgeführt. Ein Audi A3 Sportback wurde mit einem Lenkroboter ausgestattet, um – wie bei der vorgenannten Versuchsreihe – ein reproduzierbares Manöver zu erzeugen, das einem schnellen Ausweichen entspricht. Untergrund war eine nasse Asphaltfahrbahn, die Fahrgeschwindigkeit lag bei 80 km/h. Bei eingeschaltetem ESP hatte sich das Fahrzeug leicht schräg gestellt, wurde aber unmittelbar durch den Regeleingriff des ESP stabilisiert und wäre damit voll beherrschbar geblieben. Bei gleicher Versuchskonstellation, aber abgeschaltetem ESP kam es zu einem unkontrollierten Drehen des Fahrzeugs um die Hochachse. Ein Abfangen wäre auch für den erfahrenen Testfahrer unmöglich gewesen.
Die Versuche zeigen eindrücklich, wie wichtig ein technisch einwandfreier Zustand von Fahrzeugen ist. Gerade beim Gebrauchtwagenkauf sollte man daher gegebenenfalls einen Teil des zur Verfügung stehenden Budgets für erforderliche Inspektions- und Wartungsmaßnahmen zurückhalten. Ein zuverlässiger und stabiler Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn ist bei allen Fahrbahnzuständen essenziell, denn nur dann ist gewährleistet, dass auch Assistenzsysteme wie ABS oder ESP wirksam arbeiten können. Insbesondere bei jungen Fahranfängern darf daher niemals unter dem Motto „Für den Anfang und die geringe Fahrleistung tun es auch ältere oder abgefahrene Reifen“ agiert werden. Das hohe Nutzenpotenzial von ESP zur Vermeidung von Schleuderunfällen oder Unfällen mit einem Abkommen von der Fahrbahn ist in Studien eindeutig nachgewiesen. Pkw ohne ESP sollten daher insbesondere von Fahranfängern nicht gekauft werden.