Fehler möglichst effektiv kompensieren
Wie DEKRA schon in seinen früheren Verkehrssicherheitsreports mehrfach aufgezeigthat, sind Fehler des Menschen im Straßenverkehr – darunter zum Beispiel Ablenkung – eine häufige Unfallursache. Egal ob nur mal kurz das Navigationsgerät bedient, die Lautstärke des Radios verändert oder die Temperatur der Klimaanlage justiert: Bereits wenige Sekunden genügen, um schon im niedrigen Geschwindigkeitsbereich mehrere Meter im Blindflug zurückzulegen. Ein großes Nutzenpotenzial weisen in solchen Situationen unter anderem automatische Notbrems-Assistenzsysteme mit Radfahrer- und Fußgängererkennung auf. Selbiges gilt für die Fälle, in denen sich Kinder unvorsichtig im Straßenverkehr bewegen und beispielsweise plötzlich auf die Straße rennen oder sich durch sonstiges Fehlverhalten in Gefahr bringen.
Beispiel Deutschland: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts registrierte die Polizei im Jahr 2017 bei Straßenverkehrsunfällen mit Personenschaden insgesamt knapp 3.500 Fehlverhalten von Fußgängern und circa 6.700 falsche Verhaltensweisen von Radfahrern im Alter von 6 bis 14 Jahren. Am meisten machten kindliche Fußgänger Fehler beim Überschreiten der Fahrbahn, wobei sie nicht auf den Verkehr achteten oder plötzlich hinter Sichthindernissen hervortraten. Häufigste Unfallursache bei den 6- bis 14-jährigen Radfahrern, die an Unfällen mit Personenschaden beteiligt waren, war eine falsche Straßenbenutzung. In zweiter Linie waren es Fehler beim „Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Einund Anfahren“, hier vor allem Fehler beim Einfahren in den fließenden Verkehr oder beim Anfahren vom Fahrbahnrand. Nachzulesen ist dies in der Publikation „Kinderunfälle im Straßenverkehr 2017“ des Statistischen Bundesamts.
Crash-Versuche untermauern hohen Nutzenpotenzial von Assistenzsystemen
Was die erwähnten Notbrems-Assistenzsysteme mit Fußgängererkennung anbelangt, wurden hierbei in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte bei der Sensorik gemacht, was zu immer schnelleren und zuverlässigeren Systemreaktionen geführt hat. Während aufmerksame Pkw-Fahrerinnen und -Fahrer 0,8 Sekunden bis zu 1 Sekunde benötigen, um eine Gefahr zu erkennen, den Fuß vom Gaspedal auf die Bremse umzusetzen und das Bremspedal zu treten, leiten die Assistenzsysteme die Bremsung situationsabhängig bereits nach etwa 0,2 bis 0,7 Sekunden ein. Die Sensorik ist dabei häufig kamerabasiert, dazu kommen bei modernen Systemen zusätzlich Radaroder Lidarsensoren, um auch bei Dunkelheit und eventuell auch bei widrigen Wetterverhältnissen zuverlässige Ergebnisse zu generieren.
Um die Effektivität derartiger Systeme aufzuzeigen, führte das DEKRA Technology Center Anfang 2019 auf dem Testgelände Lausitzring zahlreiche Versuche durch. In Anlehnung an einen aktuellen Teststandard des European New Car Assessment Program (Euro NCAP) wurden die Systeme dreier moderner Pkw getestet. Dabei „ging“ ein den menschlichen Bewegungsablauf simulierender Kinderdummy hinter geparkten Fahrzeugen auf die Fahrbahn. Die Fahrzeuge fuhren mit defi nierten Geschwindigkeiten auf den plötzlich erscheinenden Dummy zu. So wurde ermittelt, wann die Systeme wie reagieren und bis zu welchen Geschwindigkeiten eine Kollision verhindert werden kann. Testkandidaten waren die aktuellen Modelle des Ford Focus (Modelljahr 2018), des Volvo XC 40 (Modelljahr 2017) und des Subaru Impreza (Modelljahr 2016). Alle Systeme erkannten das Kind und leiteten automatisch eine Vollbremsung ein. Die Fahrgeschwindigkeit der Fahrzeuge wurde dabei schrittweise so lange erhöht, bis es zu einer Kollision kam.
Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 37 km/h reichte es dem Subaru Impreza nicht mehr, die Geschwindigkeit komplett abzubauen, und es kam zur Kollision mit dem Kinderdummy. Die Kollisionsgeschwindigkeit lag allerdings mit rund 20 km/h deutlich unter der Ausgangsgeschwindigkeit. Der Volvo XC 40 kollidierte erst bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 45 km/h im sehr niedrigen Geschwindigkeitsbereich mit dem Dummy. Der Ford Focus kam selbst bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h vor dem Dummy zum Stillstand und verhinderte so eine Kollision. Tests mit noch höheren Geschwindigkeiten wurden nicht durchgeführt, da die in Deutschland innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erreicht war.
Hätte im Ford statt eines automatischen Brems-assistenten ein Mensch gebremst, wäre es bei einer normalen Reaktionszeit von einer Sekunde und anschließender Vollbremsung aus einer Geschwindigkeit von 50 km/h zu einer Kollision mit rund 32 km/h gekommen. Schwerste Verletzungen sind bei derartigen Kollisionsgeschwindigkeiten die Folge. Während es beim Volvo aus einer Geschwindigkeit von 45 km/h dank Bremsassistent gerade noch so zur Kollision kam, hätte die Kollisionsgeschwindigkeit bei einem menschlichen Fahrer bei rund 30 km/h gelegen. Auch hier liegt das Nutzenpotenzial klar auf der Hand. Beim Subaru hätte die Kollisionsgeschwindigkeit aus 37 km/h immer noch 25 km/h betragen. Das System erreicht damit zumindest die Effektivität eines aufmerksamen Fahrers.
Die Versuche machen das enorme Nutzenpotenzial automatischer Notbrems-Assistenzsysteme deutlich. In zwei Fällen waren die Systeme dem Menschen deutlich überlegen, in einem mindestens gleichwertig. Kommt eine Ablenkungssituation bei der Fahrerin oder dem Fahrer hinzu, sind alle drei Systeme, auch durch eine zusätzliche Warnung des Fahrers, lebensrettend. Allerdings können Notbremssysteme – wie alle Assistenzsysteme – ausschließlich innerhalb der physikalisch vorgegebenen Grenzen arbeiten. Auch können sie nicht alle kritischen Situationen richtig erkennen, selbst wenn die technische Entwicklung stetig voranschreitet. Der Fahrer wird also nicht von seinen Pflichten oder gar seiner Verantwortung für eine sichere und aufmerksame Fahrweise entbunden.
PS: Die Mitglieder des „Weltforums für die Harmonisierung fahrzeugtechnischer Vorschriften“ der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) haben sich im Februar 2019 darauf geeinigt, den für Stadtgeschwindigkeiten von unter 60 km/h gedachten City-Notbrems-Assistenten für Neuwagen zur Pflicht zu machen. In der EU und in Japan soll die Regelung ab dem Jahr 2022 für alle neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge gelten. Die UNECE und die EU versprechen sich von der Pflicht zum Notbrems- Assistenten eine Reduktion der Unfallzahlen um bis zu 38 Prozent und rund 1.000 weniger Verkehrstote pro Jahr.
Mit mehreren Crash-Versuchen demonstrierte DEKRA die Wirksamkeit automatischer Notbrems-Assistenzsysteme mit Fußgängererkennung:
Kinder müssen im Fahrzeug besser gesichert werden
Leichtsinnig und fahrlässig handelt auch, wer sein Kind im Fahrzeug nicht ordnungsgemäß sichert oder es komplett ungesichert auf dem Schoß des Beifahrers im Auto mitnimmt. In vielen Staaten der Welt ist eine auf Größe und Gewicht von Babys und Kindern angepasste Sicherung in Fahrzeugen vorgeschrieben. Mit Babyschalen, Kindersitzen und Sitzerhöhungen werden für jedes Kinderalter und jede Statur geeignete Produkte angeboten. Die Unfallstatistiken sprechen eine deutliche Sprache und der Nutzen der Systeme ist unbestritten. Dennoch gibt es noch immer Eltern, die ihre Kinder gar nicht oder falsch sichern, und Staaten, in denen das Anschnallen nicht vorgeschrieben ist – leider immer wieder mit tragischen Folgen. So waren zum Beispiel in Frankreich im Jahr 2017 nach Angaben des Observatoire National Interministériel de la Sécurité Routière immerhin knapp 20 Prozent der in Pkw bei Verkehrsunfällen getöteten Kinder und Jugendlichen nicht angeschnallt. In den USA waren im Jahr 2016 laut National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) 17 Prozent der Verkehrsopfer unter 15 Jahren nicht angeschnallt. In einer groß angelegten Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) aus dem Jahr 2018 stellte sich heraus, dass in über 1.000 untersuchten Fällen in Deutschland lediglich 52 Prozent der Babys und Kinder korrekt gesichert waren. In den allermeisten Fällen war ein Kinderschutzsystem vorhanden, allerdings waren die Kinder darin häufig nicht oder falsch angeschnallt beziehungsweise das System war nicht richtig eingebaut worden. Die Ursachen hierfür lagen einerseits in der für viele Anwender zu komplizierten Handhabung der Schutzsysteme und in Problemen beim Erkennen von Handhabungsfehlern. Insbesondere Systeme ohne ISOFIX fielen hier negativ auf. Andererseits wurden aber auch viel zu oft bewusste Abweichungen von einer korrekten Sicherung registriert. Die in der Studie erkannten Zusammenhänge decken sich mit Aussagen aus anderen Studien und Befragungen: nur kurze Wegstrecke, Komfort für das Kind, schnelles und schlampiges Sichern wegen schlechten Wetters und Zeitdruck.
Viele Eltern machen sich gar nicht bewusst, welch schwerwiegende Folgen eine unzureichende Sicherung der Kinder haben kann. So werden grundlegende physikalische Gesetzmäßigkeiten ignoriert und aus eigener Bequemlichkeit werden Leben und Gesundheit des eigenen Nachwuchses aufs Spiel gesetzt.
Liegt der Gurt nicht richtig an, kann das Kind im Ernstfall an den Dachhimmel prallen. Dann drohen dem Nachwuchs schwere Verletzungen wie etwa die Stauchung der Wirbelsäule. Ist das Kind zu locker im Sitz gesichert oder hat dieser nicht die richtige Größe, entstehen bei einem Aufprall unter Umständen massive Beugungen und Überstreckungen der Halswirbelsäule. Die Nervenstränge können dabei dauerhaft geschädigt werden. Schlägt der Kopf auf dem Vordersitz auf, kann es im schlimmsten Fall zu einem Schädel- Hirn-Trauma kommen.
Um die Folgen einer Kollision mit einer innerorts üblichen Geschwindigkeit von nur 50 km/h zu verdeutlichen, führte DEKRA 2019 einen Crashtest durch. Ein Kinderdummy war dabei ordnungsgemäß in einem Kindersitz gesichert, ein zweiter Kinderdummy saß nicht angeschnallt auf dem Rücksitz. Mit einer Größe von 1,13 Metern und einem Gewicht von 23 Kilogramm wurde ein sechsjähriges Kind nachempfunden.
Die Bilder sprechen für sich. Während der ordnungsgemäß gesicherte Kinderdummy vom Gurt zurückgehalten und durch den Kindersitz zusätzlich geschützt wird, wird der ungesicherte Dummy im Fahrzeug herumgeschleudert. In einem realen Unfall hätte ein Kind hierbei schwerste bis tödliche Verletzungen erlitten. Zudem gefährden die Wucht des Aufpralls gegen die Rückenlehne des davor befindlichen Sitzes und das Risiko eines direkten Kopf-gegen-Kopf-Kontakts zusätzlich auch die Personen auf dem Sitz davor.
Daher gilt: Eine ordnungsgemäße Sicherung von Kindern im Fahrzeug muss bei jeder Fahrt erfolgen, unabhängig von Fahrstrecke, Wetter und Zeitdruck. Gleichzeitig sind aber auch die Fahrzeughersteller aufgefordert, ISOFIX-Halteösen serienmäßig auf allen Pkw-Rücksitzbänken zu verbauen – und das nicht nur in Staaten, in denen das vorgeschrieben ist. An die Hersteller der Kindersitze richten sich die Forderungen, die Bedienungsanleitungen klar und leicht verständlich zu formulieren sowie die Bedienung logisch und einfach zu halten. Außerdem zu beachten: Der Sitz muss dem Gewicht, der Größe und dem Alter des Kindes entsprechen. Am besten lässt man das Kind vor dem Kauf Probe sitzen.