Mehrwert für sichere Verkehrsteilnahme

08. Nov. 2020 Fahrzeugtechnik

Aufmerksames, rücksichtsvolles und regelkonformes Verhalten im Straßenverkehr ist ein grundlegender Faktor für weniger Unfälle. Gerade Zweiradfahrer können zudem durch den guten technischen Zustand ihrer Fahrzeuge insbesondere im Hinblick auf Bremsen und Beleuchtung, durch passformgerechte Helme, aber auch mithilfe von Systemen der aktiven Sicherheit dazu beitragen, Unfälle im Idealfall ganz zu vermeiden oder zumindest deren Folgen abzumildern.

Egal, mit welchem Verkehrsmittel man auf den Straßen unterwegs ist: Nicht selten entscheidet der Bremsweg darüber, ob es zu einem Unfall kommt oder nicht – und wenn, ob dieser mit leichten, schweren oder sogar tödlichen Verletzungen endet. Das gilt insbesondere auch für ungeschützte Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer. Im Vordergrund der verschiedenen europäischen Normen über sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfverfahren von Fahrrädern steht unter anderem eine gut dosierbare Bremsleistung, die es erlaubt, Fahrer und Fahrrad unter allen Bedingungen der Situation entsprechend zu verzögern beziehungsweise rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Außerdem müssen Fahrradbremsen auch bei Nässe zuverlässig eine gleichmäßige Verzögerung garantieren. Was die gesetzlichen Vorschriften zum Beispiel in Deutschland anbelangt, muss laut § 65 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) jedes Fahrrad zwei voneinander unabhängige Bremsen besitzen. Dabei sind Bauart und Beschaffenheit der Bremsen nicht von Belang, solange die Bremsen am Fahrzeug fest angebracht sind und sie es vermögen, die Geschwindigkeit des Fahrrads hinreichend zu vermindern und im Stand zu fixieren. Ähnliche Vorgaben gelten auch für E-Scooter.

GUTE BREMSEN SIND DAS A UND O FÜR EINEN SICHEREN RADVERKEHR.

Doch wie ist es überhaupt um die Bremsleistung heutiger Fahrräder, Pedelecs und S-Pedelecs bestellt? Dieser Frage ging DEKRA im Rahmen von Bremsversuchen auf dem Gelände des Testzentrums für Forschung und Entwicklung am DEKRA Lausitzring in Klettwitz nach. Die sechs Versuchsräder waren bis zum Test im alltäglichen Gebrauch. Vor den Tests wurde am technischen Zustand nichts geändert. Einzig der Luftdruck in den Reifen wurde kontrolliert und, wenn nötig, angepasst. Ebenso wurden die Bremsanlagen auf einen guten Zustand und ihre einwandfreie Funktion hin untersucht. Bei der Auswahl der Versuchsräder wurde darauf geachtet, dass sie eine vergleichbare Reifenaufstandsfläche haben. Daher boten sich Mountainbikes, Touren- und Trekkingräder an. Sogenannte Fatbikes oder Rennräder wurden nicht untersucht. Ziel der Bremsversuche war es, die unterschiedliche Bremsleistung bei unterschiedlichen Bremssystemen zu veranschaulichen, den Witterungseinfluss (trockene/nasse Fahrbahn) darzustellen sowie systembedingte Vor- und Nachteile der Bremssysteme aufzuzeigen. Folgende Systeme waren an den Versuchsrädern verbaut:
  • City-Rad:Felgenbremse vorn/ Rücktrittbremse hinten
  • Trekking-Rad: Felgenbremse vorn/ Felgenbremse hinten
  • Mountainbike 1: Felgenbremse vorn/ Felgenbremse hinten
  • Mountainbike 2: Scheibenbremse vorn/ Scheibenbremse hinten
  • S-Pedelec: Scheibenbremse vorn/ Scheibenbremse hinten
  • Pedelec: Scheibenbremse mit Bosch ABS vorn/ Scheibenbremse hinten

Pedelec-ABS bringt auf nasser Fahrbahn deutliche Vorteile

Das Testszenario sah mehrere Bremsungen mit jedem der Versuchsräder sowohl auf einer Fahrbahn mit hohem Kraftschlussbeiwert (trocken) als auch einer Fahrbahn mit verringertem Kraftschlussbeiwert (nass) vor. Alle Bremsungen erfolgten aus einer Ausgangsgeschwindigkeit von 25 km/h mit maximal möglicher Verzögerung durch einen versierten Testfahrer. Bei den Bremsungen auf nasser Fahrbahn wurden die komplette Anlauf- und Fahrstrecke, der Bremsbereich sowie die Versuchsräder und ihre Bremssysteme intensiv mit Wasser beaufschlagt. Gemessen wurde mit einem Bandmaß, Messpunkt war die Achse des Vorderrades. Die Versuche ergaben folgende Ergebnisse:
Die Scheibenbremsen wiesen insgesamt eine gute Dosierbarkeit auf. Auf trockener Fahrbahn waren die Bremsleistungen bei allen Versuchsrädern ansprechend, kein Bremssystem fiel deutlich ab. Den längsten Bremsweg auf trockener Fahrbahn hatte das Fahrrad mit Felgenbremse vorn und Rücktrittbremse hinten. Der gemittelte Bremsweg betrug hier 4,55 Meter. Den kürzesten gemittelten Bremsweg auf trockener Fahrbahn hatte das S-Pedelec mit 3,66 Metern. Der Unterschied vom kürzesten zum längsten gemittelten Bremsweg auf trockener Fahrbahn betrug somit 89 Zentimeter.
Auf nasser Fahrbahn waren die Unterschiede dagegen deutlich größer, hier verlängerte sich der Bremsweg bei allen Versuchsrädern mit Ausnahme des Pedelecs mit ABS um über 20 Prozent. Am größten war der Unterschied bei den Versuchsrädern mit Felgenbremsen vorn und hinten. Hier verlängerte sich der Bremsweg auf nasser Fahrbahn um knapp 30 Prozent. Insgesamt schnitt die ABS-Bremse am Pedelec auf nasser Fahrbahn am besten ab. Der Bremsweg im Vergleich zur trockenen Fahrbahn war hier nur um knapp zehn Prozent länger. Den längsten Bremsweg auch auf nasser Fahrbahn hatte das Fahrrad mit Felgenbremse vorn und Rücktrittbremse hinten. Der gemittelte Bremsweg betrug hier 5,53 Meter. Den kürzesten gemittelten Bremsweg auf nasser Fahrbahn hatte das Pedelec mit ABS. Hier betrug der Bremsweg 4,15 Meter. Der Unterschied zwischen dem kürzesten und längsten Bremsweg auf nasser Fahrbahn betrug 1,38 Meter.
Bei den Bremsungen im Trockenen wurden Verzögerungswerte im Bereich von 5,3 bis 6,6 m/s² erreicht, bei den Bremsungen im Nassen Verzögerungswerte zwischen 4,4 und 5,8 m/s². Somit haben alle Fahrräder bei der Trocken-Bremsung die Mindestverzögerung für Kraftfahrzeuge von 5,0 m/s2 erreicht. Sogar auf nasser Fahrbahn wurde dieser Wert von einem Modell übertroffen: Das ABS-Fahrrad erreichte eine mittlere Vollverzögerung von 5,8 m/s².

Bremsvergleich E-Scooter versus Tretroller

Mit dem gleichen Versuchsaufbau führten die DEKRA Experten auch Bremsversuche mit einem konventionellen Tretroller mit lediglich einer fußbetätigten Bremse am Hinterrad sowie mit einem E-Scooter durch. Beim E-Scooter handelte es sich um ein Standardmodell mit Trommelbremsen, das es in vielen deutschen Städten zum Verleih gibt. Bei diesem Modell waren sowohl die Vorder- als auch die Hinterradbremse mit jeweils einem Bremshebel am Lenker zu betätigen. Die Bremsversuche wurden aus einer Geschwindigkeit von 20 km/h durchgeführt.
Die Ergebnisse: Bei den Bremsversuchen auf trockener Fahrbahn kam der Tretroller auf einen gemittelten Bremsweg von 9,70 Metern, was einer Verzögerung von 1,6 m/s2 entspricht. Die Bremsleistung im Vergleich zum E-Scooter war hier schon erschreckend schlecht, denn der E-Scooter hatte auf trockener Fahrbahn einen gemittelten Bremsweg von gerade mal 3,37 Metern und erreichte damit eine Verzögerung von 4,6 m/s2. Noch deutlich gravierender waren die Unterschiede auf nasser Fahrbahn und mit nasser Hinterradbremse. Während der E-Scooter hier nahezu identisch gute Bremsungen wie auf trockener Fahrbahn ermöglichte, hatte die Trittbremse des Tretrollers fast keine Bremswirkung – der gemittelte Bremsweg des Tretrollers verdoppelte sich auf 19,25 Meter, was einer Bremsverzögerung von gerade noch 0,8 m/s2 entspricht. Unter diesen Umständen empfehlen sich daher Bremsungen mit Absetzen eines Fußes auf den Asphalt. Mit derartigen Fußbremsungen wurden auf nasser Strecke mit dem Tretroller Bremswege von 9,10 Metern erreicht. Dennoch sollte eine Verwendung von Tretrollern, die ausschließlich mit einer Blechbremse versehen sind, bei feuchter oder nasser Fahrbahn unterbleiben. Positiv hervorzuheben sind die Bremsen des E-Scooters. Beide Bremsgriffe konnten ohne Bedenken mit maximalem Druck gezogen werden. Die Bremsungen waren stabil durchzuführen und vermittelten dem Fahrer ein sicheres Gefühl.
DEKRA testete auch das Bremsverhalten eines E-Scooters im Vergleich zu einem Tretroller auf trockener und nasser Fahrbahn.