Moderne Technik schützt auch Rad- und Motorradfahrende

12. Mai 2022 Fahrzeugtechnik
Einem hohen Risiko, im Straßenverkehr zu verunglücken, sind junge Menschen nicht nur als Pkw- Insassen ausgesetzt, sondern vor allem auch dann, wenn sie mit dem Fahrrad oder dem Motorrad unterwegs sind. Die im Kapitel „Unfallgeschehen“ genannten Zahlen belegen dies eindeutig. Systeme der aktiven beziehungsweise integrierten Sicherheit in Pkw und Lkw als Hauptunfallgegner gewinnen daher noch mehr an Bedeutung. Darüber hinaus kann aber auch die in den Zweirädern verbaute Technik dazu beitragen, die Zahl der Unfallopfer zu senken. Wie im DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2020 zum Thema „Mobilität auf zwei Rädern“ bereits ausführlich dargestellt und mit Fahrversuchen im DEKRA Technology Center am DEKRA Lausitzring eindrücklich untermauert, ist zum Beispiel die Dosierbarkeit der Bremsen bei Fahrrädern mit Scheibenbremsen vorn und hinten sowohl auf nasser als auch auf trockener Fahrbahn besser als bei anderen Bremssystemen. Bei Pedelecs bringt ein Antiblockiersystem (ABS) einen großen Sicherheitsgewinn, da es für ein kontrollierteres und stabileres Abbremsen auch unter schwierigen Bedingungen sorgt.
Bewährt hat sich das ABS vor allem auch bei Motorrädern, da es ein Blockieren der Räder verhindert. Gerade bei Vollbremsungen oder bei starkem Verzögern auf rutschigem Untergrund bewirkt das System, dass die Motorräder wesentlich sicherer zum Stehen kommen und in Grenzbereichen der Fahrphysik besser kontrollierbar bleiben. Zugleich wird das gefährliche und in aller Regel zum Sturz führende Blockieren des Vorderrads verhindert. Die Motorradfahrer können so mit maximaler Kraft die Bremse betätigen. Inzwischen gibt es technische Weiterentwicklungen der ABS-Technik für Motorräder in Richtung einer elektronischen Stabilitätskontrolle, die im Bereich der Mehrspurfahrzeuge schon länger als ESP bekannt und dort inzwischen weitverbreitet ist.

ABS BEIM MOTORRAD HAT SICH BEWÄHRT

Kommt es trotzdem zu einem Unfall mit Verletzten, entscheidet unter Umständen ein frühzeitig abgesetzter Notruf gerade bei schweren Verletzungen über Leben und Tod. Während deshalb bei neuen Pkw-Modellen mit EU-Typgenehmigung nach dem 31. März 2018 der eCall bereits ein verpflichtender Bestandteil ist, besteht für Motorräder noch keine eCall-Pflicht. Dabei liegt der Nutzen dieses Systems auf der Hand – insbesondere bei Alleinunfällen, bei denen Motorrad und Aufsassen für nachfolgende Verkehrsteilnehmer unter Umständen nicht zu erkennen sind und es keine Unfallspuren gibt.

MITUNTER GEFÄHRLICHE TUNING-MASSNAHMEN VON KLEINKRAFTRÄDERN

Wenn von motorisierten Zweirädern die Rede ist, dürfen auch die vor allem bei Jugendlichen beliebten Mofas, Roller und Mokicks sowie die immer weiter verbreiteten Elektroscooter nicht vergessen werden. Dass die kleinen Flitzer so im Trend liegen, hat sicherlich damit zu tun, dass Anschaffung und Unterhalt relativ günstig sind. Es steht einem ein praktisches und bezahlbares Fortbewegungsmittel zur Verfügung, mit dem man flott zur Schule, zum Ausbildungsbetrieb oder zur Uni kommt und nicht mehr auf das Elterntaxi oder den ÖPNV angewiesen ist. Gerade in ländlichen Regionen stellen Mofa, Roller und Co. den Einstieg in den motorisierten Individualverkehr dar, den ersten Schritt also in Richtung eigenständiger und unabhängiger Mobilität.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit ist für Jugendliche ein wichtiger Faktor. Innerhalb der Freundesgruppe ist der Besitz eines eigenen Fahrzeugs etwas Cooles und Hochangesehenes. Ganz im Gegensatz zur Limitierung der Höchstgeschwindigkeit in Deutschland, etwa für Mofas auf 25 km/h und für Mopeds auf 45 km/h. Die Versuchung, durch technische Manipulationen an den Fahrzeugen die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit nach oben zu treiben, ist entsprechend groß; ebenso der altersgruppenspezifische Profilierungsdruck. Tuning-Maßnahmen sind in dieser Fahrzeugkategorie daher schon seit Langem anzutreffen. Damals wie heute können dies mechanische Bauartveränderungen durch Manipulationen an der Abgasanlage oder im Getriebebereich sein. Hinzugekommen sind vermehrt unzulässige Änderungen an der Fahrzeugelektronik durch sogenannte Tuning-Kits, die günstig über das Internet erworben werden können.

OFTMALS UNZULÄSSIGE BAUARTVERÄNDERUNGEN

Nur wenige Nutzer denken jedoch an die Konsequenzen, die solche Umbaumaßnahmen mit sich bringen können. Durch unzulässige Tuning- Maßnahmen verlieren die Zweiräder ihre Betriebserlaubnis und dürfen dann nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr bewegt werden. Zudem führt die höhere erreichbare Geschwindigkeit dazu, dass unter Umständen eine andere Fahrerlaubnisklasse erforderlich ist und damit ein Fahren ohne Führerschein erfolgt. Bei den klassischen Mofas kommt hinzu, dass sie konstruktiv auf ihre bauartbedingte Maximalgeschwindigkeit ausgelegt sind. Dies kann zum Problem werden – beispielsweise bei den Bremsanlagen, die nicht auf die höheren Geschwindigkeiten ausgelegt sind. Darüber hinaus haben Versicherungen durch die erloschene Betriebserlaubnis die Möglichkeit, im Fall eines Schadens die Leistungen zu kürzen oder gänzlich zu verweigern. Doch nicht jede Tuning-Maßnahme stellt ein Sicherheitsrisiko dar. Durch einen fachgerechten Einbau einer Sportbremsanlage beispielsweise kann die Bremsleistung der Zweiräder deutlich erhöht werden, was wiederum einen Sicherheitsvorteil in kritischen Bremssituationen mit sich bringt.
Welche Art der unzulässigen Bauartveränderungen an Fahrzeugen vorliegt, ist daher im Rahmen von Verkehrskontrollen, aber auch nach Unfällen entscheidend. Werden Kraftfahrzeuge, egal welcher Art, im Straßenverkehr auffällig, hat die Polizei die Möglichkeit, sie durch eigene Spezialisten oder externe Sachverständige auf unzulässige Bauartveränderungen hin technisch untersuchen zu lassen. Die DEKRA Unfallforschung sammelt die Ergebnisse der von DEKRA Sachverständigen durchgeführten technischen Fahrzeuguntersuchungen in einer eigenen Datenbank. Zu den ersten Veröffentlichungen von Analyseergebnissen gehört die DEKRA Fachschriftenreihe „Technische Mängel“ mit der ersten Ausgabe aus dem Jahr 1977.
Eine Analyse für den Zeitraum 2016 bis 2019 ergab, dass es an 50,0 Prozent der nach Unfällen untersuchten Mofas und 26,7 Prozent der nach Unfällen untersuchten Mopeds nachweisbare Bauartveränderungen gab (Schaubild 17). Im gleichen Zeitraum hatten nur 4,2 Prozent der nach einem Unfall untersuchten Pkw unzulässige Bauartveränderungen. Auch bei Verkehrskontrollen ist der Anteil an unzulässigen Bauartveränderungen vor allem im Zweiradbereich auffallend hoch. So wurden bei 77,3 Prozent der untersuchten Mofas, bei 52,0 Prozent der untersuchten Mopeds und 74,5 Prozent der untersuchten Krafträder mit amtlichem Kennzeichen unzulässige Bauartveränderungen vorgefunden. Die Werte nach Verkehrskontrollen sind naturgemäß höher, da die Fahrzeuge gezielt durch die Polizei herausgezogen und zur weiteren sachverständigen Untersuchung gegeben werden.

TUNINGKITS BERGEN GEFAHREN

UNFALLRELEVANTE MÄNGEL AN EINEM VIERTEL DER MOPEDS UND MOFAS

Tuning-Maßnahmen zur Steigerung der Höchstgeschwindigkeit waren also in all den Jahren bei den motorisierten Zweirädern, insbesondere bei Mofas, sowohl bei Untersuchungen nach Verkehrsunfällen als auch nach Verkehrskontrollen häufig vertreten. Neben den unzulässigen Bauartveränderungen untersuchen Sachverständige von DEKRA Fahrzeuge auch, wenn die Unfallursache unklar ist oder es zu einem schweren Verkehrsunfall mit Personenschaden gekommen ist. Hier wird primär untersucht, ob ein technischer Mangel vorlag und dieser Einfluss auf das Unfallgeschehen hatte.
In diesem Zusammenhang ist zu bedenken: Der in der amtlichen Statistik aufgeführte „technische Mangel“ ist nicht immer mit einer Unfallverursachung verbunden. In vielen Fällen sind hier die Mängel genannt, die an der Unfallstelle direkt sichtbar sind, etwa ein abgefahrener Reifen mit null Millimeter Profiltiefe. Ein Gutachter untersucht das Fahrzeug gegebenenfalls auch in einer Werkstatt und zerlegt, falls erforderlich, Baugruppen und/oder analysiert den Softwarestand beziehungsweise die gespeicherten Daten. Der Gutachter stellt den Mangel fest (etwa „Die Bremse an der Hinterachse ist funktionsunfähig“), bestimmt die Auswirkung des Mangels auf die Fahrzeugeigenschaften (etwa „Es verbleiben nur noch 70 Prozent der eigentlich vorhandenen Bremsleistung“) und ermittelt dann den Einfluss der geänderten Fahrzeugeigenschaften auf den Unfallablauf sowie insbesondere die Unfallverursachung. Im Einzelfall unterteilen die DEKRA Sachverständigen unfallrelevante Fahrzeugmängel in drei Kategorien: mitursächliche Mängel (die Mängel haben zwar das Unfallereignis begünstigt, waren aber nicht der alleinige Auslöser), eventuell ursächliche Mängel (hier kann nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen werden, ob der Unfall auf den entsprechenden Mangel zurückzuführen ist) und ursächliche Mängel (ein technischer Mangel, der eindeutig den Unfall ausgelöst hat).
Zusätzlich werden aber auch technische Mängel erhoben, die keine direkten und nachweislichen Auswirkungen auf den Unfall hatten, aber beispielsweise in einer Hauptuntersuchung einen geringen, erheblichen, gefährlichen oder verkehrsunsicheren Mangel darstellen. Unabhängig davon, ob es sich um einen unfallrelevanten Mangel gehandelt hat, wurden im Zeitraum 2016 bis 2019 bei jeweils mehr als jedem zweiten Moped und Mofa nach einem Verkehrsunfall technische Mängel festgestellt (Schaubild 18). Bezieht man sich ausschließlich auf unfallrelevante Mängel, ergab eine tiefergehende Analyse der Jahre 2016 bis 2019, dass bei rund jedem vierten Moped unter 50 km/h und jedem fünften Mofa unfallrelevante Mängel vorzufinden waren. Im Vergleich hierzu lag dieser Anteil bei Fahrzeuguntersuchungen nach einem Unfall am Pkw bei „nur“ 6,6 Prozent, bei den Krafträdern mit amtlichem Kennzeichen bei 12,2 Prozent. Allesamt Zahlen, die untermauern, wie wichtig die periodische technische Inspektion gerade auch für motorisierte Zweiräder ist.