Studie von DEKRA zur Helmtragequote unter Fahrradfahrern in Europa

08. Nov. 2020 Faktor Mensch
Kommt es zu einem Unfall, ist der Helm für Motorradfahrer wie für Radfahrer ein oftmals lebenswichtiges Sicherheitselement. Im Kapitel „Technik“ dieses Reports wird darauf noch näher eingegangen. Doch wie sieht es eigentlich mit den Helmtragequoten aus? Eine Veröffentlichung der Bundesanstalt für Straßenwesen von 2018 gibt hierüber Auskunft für Deutschland und differenziert zugleich unterschiedliche Altersgruppen. Die Helmtragequote unter den motorisierten Zweirädern lag 2018 nahezu bei 100 Prozent, die der Fahrradfahrer dagegen gerade mal bei 18 Prozent, wobei Kinder (82 Prozent) deutlich häufiger einen Helm tragen als Erwachsene. Dargestellt wird auch ein Vergleich mit der Quote des vergangenen Jahres, wodurch deutlich wird, dass der Trend, einen Helm zu tragen, immerhin steigt.
Um die aktuelle Helmtragequote bei Fahrrad-, Pedelec- und E-Scooter-Fahrern zu ermitteln, hat die DEKRA Unfallforschung 2019 eine quantitative Querschnittsstudie konzipiert und dabei die Helmtragequote in neun ausgewählten, als fahrradfreundlich geltenden Hauptstädten Europas ermittelt – und zwar in Berlin, Warschau, Kopenhagen, Zagreb, Ljubljana, Wien, London, Amsterdam und Paris (Schaubild 25). Um ein möglichst repräsentatives Ergebnis zu erhalten, erfolgten in jeder der Städte Beobachtungen des Radverkehrs zu unterschiedlichen Tageszeiten, an verschiedenen Erhebungsorten rund um den Stadtkern und ausschließlich an Wochentagen. Pilotstudie war eine Erhebung in Stuttgart.

EINES VON VIELEN ERGEBNISSEN EINER STUDIE VON DEKRA: IN LONDON TRAGEN KNAPP 61 PROZENT DER RADFAHRER EINEN HELM.

Insgesamt wurde in den neun genannten Hauptstädten die Helmtragequote von 12.700 Fahrrad-, Pedelec- und (E-)Scooter-Fahrern ermittelt. Über alle Städte hinweg lag die Quote bei 22 Prozent. Rund jeder fünfte Fahrrad-, Pedelec und (E-)Scooter-Fahrer hatte somit beim Fahren einen Helm auf. Die mit großem Abstand höchste Helmtragequote wurde in London mit 60,9 Prozent festgestellt, es folgten Wien mit 26,7 Prozent und Berlin mit 24,3 Prozent. Die geringste Helmtragequote wies Amsterdam mit lediglich 1,1 Prozent auf. In Ljubljana und Zagreb lagen die Quoten bei 9,1 beziehungsweise 5,9 Prozent. In allen Städten waren die meisten Radfahrer mit Privatfahrrädern unterwegs. Die durchschnittliche Helmtragequote lag hier weit über derjenigen von Fahrern mit Leihfahrrädern. Der E-Scooter spielte mit Blick auf die absolute Nutzung vor allem in Berlin, Warschau, Wien und Paris eine Rolle. Die Helmtragequote dabei war sehr gering und lag in diesen Städten deutlich unter der jeweiligen durchschnittlichen Gesamthelmtragequote. In Berlin wurden 173 E-Scooter-Fahrer erfasst. Keiner der Fahrer trug hierbei einen Helm. In Paris trugen von 316 E-Scooter-Fahrern immerhin neun Prozent einen Helm.
Zu beobachten war außerdem, dass Kinder, die mit dem Rad unterwegs sind, häufiger einen Helm tragen als alle anderen Altersgruppen. Das hat zweifelsohne primär damit zu tun, dass Eltern in höherem Maße auf die Sicherheit ihrer Kinder achten und im Idealfall als Vorbild vorangehen. Dazu kommt, dass in vier der Länder, in deren Hauptstädten DEKRA die Untersuchung durchgeführt hat, eine Helmpflicht gilt: in Österreich und Frankreich bis 12 Jahre, in Slowenien bis 15 Jahre und in Kroatien sogar bis 16 Jahre. Im Gegensatz hierzu wurde bei der Gruppe der Jugendlichen die niedrigste Quote ermittelt. Diese waren eher mit Freunden oder allein unterwegs statt mit den Eltern. Der Verzicht auf den Helm ist eventuell auf den Entwicklungsstatus in der Pubertät zurückzuführen. Hier wird oft das Gegenteil von dem getan, was die Eltern und die Gesellschaft empfehlen.

EIN FAHRRADHELM SCHÜTZT UNTER UMSTÄNDEN VOR SCHWEREN VERLETZUNGEN.

INFRASTRUKTUR IST WICHTIGES KRITERIUM FÜR SICHERHEITSGEFÜHL UND HELMTRAGEQUOTE

Weitere städtespezifische Beobachtungen: Da ein großer Teil der Londoner Einwohner die Straßen der britischen Hauptstadt als gefährlich für Radfahrer einstuft, greifen viele auf dem Weg zur Arbeit zum Helm. Bei der Datenerhebung fiel außerdem auf, dass in London eine große Zahl der Radfahrer auf Sicherheitskleidung achtet. So werden zum Beispiel häufig gelbe Warnwesten getragen, um im Verkehr besser wahrgenommen zu werden.
Die Niederlande gelten als „die“ Fahrradnation schlechthin. Auf den ersten Blick scheint es daher verwirrend, dass bei der Untersuchung in Amsterdam gerade mal eine Helmtragequote von 1,1 Prozent ermittelt wurde. Doch bei genauerer Betrachtung verwundert dies nicht. Denn bereits ab den 1970er-Jahren investierte der Staat massiv in eine entsprechende Infrastruktur, um die Straßen sicherer für Radfahrer zu machen. Den Haag und Tilburg waren 1975 erste Modellstädte für Fahrradstraßen, Delft installierte als erste Stadt ein komplettes Netz an Fahrradwegen. Wie in kaum einem anderen Land gehört das Fahrrad als Verkehrsmittel in den Niederlanden zum Alltag. Die Infrastruktur ist beispiellos gut ausgebaut und die Bevölkerung fühlt sich aufgrund dieser Maßnahmen beim Radfahren sicher. Ein Helm wird daher als unnötige Last empfunden, eine Helmpflicht abgelehnt. Insgesamt gehören die Niederlande zusammen mit Dänemark in Bezug auf die gefahrenen Kilometer weltweit zu den sichersten Ländern für Fahrradfahrer.
Kopenhagen wird gern mit holländischen Städten bezüglich des Radverkehrs verglichen. Überraschend ist daher, dass mit 19,9 Prozent die Radhelmtragequote deutlich über dem Wert von Amsterdam und im Mittelfeld aller untersuchten Städte liegt. Neben dem guten infrastrukturellen Ausbau in Dänemark wird auch hier auf groß angelegte Helmtragekampagnen gesetzt, um die Sicherheit zu erhöhen. In Kopenhagen sind im Gegensatz zu Amsterdam viele Radwege nicht baulich von der Fahrbahn der Autos getrennt, außer durch niedrige Bordsteine. Daher erscheint der Radverkehr gefährlicher, die Radfahrer greifen deswegen häufiger auf einen Helm zurück als in Amsterdam.
Angesichts der Ergebnisse dieser DEKRA Studie wie auch der genannten Zahlen der BASt ist zu fragen, wovon die Akzeptanz des Tragens eines Fahrradhelms abhängt und wie diese verbessert werden kann. Royal, S. et al. (2007) erstellten eine Metaanalyse über elf Studien zu Arten von Interventionen und deren Einfluss auf das Helmtrageverhalten von Kindern und Jugendlichen. Die Ergebnisse zeigen dass nicht legislative Interventionen beziehungsweise Unterstützungsmaßnahmen außerhalb gesetzlicher Regelungen sehr effektiv sein können. Im Vergleich zu Kampagnen, die von Schulen ausgingen oder mit subventionierten Helmen warben, waren diejenigen Kampagnen, die wohnortnah in den Gemeinden durchgeführt und bei denen kostenlose Helme verteilt wurden, deutlich wirksamer. Die geringsten Effekte hatten Interventionen, die ausschließlich aus Aufklärungsarbeit bestanden. Doch auch diese stellten eine signifikante, wenn auch kleinere Verbesserung dar. Interventionen in Schulen hatten die meiste Wirkung, wenn sie bei den jüngeren Schülern ansetzten. Das ist ein Hinweis darauf, dass insbesondere hier angesetzt werden muss. Dessen ungeachtet gilt unabhängig vom Alter des Radfahrers: Selbst die beste Infrastruktur schützt nicht vor Unfällen. Und dann ist und bleibt der Helm zum Schutz vor unter Umständen schweren oder im schlimmsten Fall tödlichen Verletzungen unverzichtbar.