Toter Winkel – mehr Sicherheit beim Rechtsabbiegen von Nutzfahrzeugen

01. Juni 2017 Fahrzeugtechnik
Vor allem in Städten stellt das Rechtsabbiegen von Nutzfahrzeugen eine große Gefahr für Fußgänger und Radfahrer dar. Und zwar dann, wenn sie zum Beispiel an einer Kreuzung direkt neben einem Lkw halten und so in den Bereich des toten Winkels geraten, in dem sie vom Lkw-Fahrer nur teilweise oder gar nicht zu sehen sind. Biegt der Lkw dann nach rechts ab, besteht höchste Gefahr, überrollt zu werden. Nicht weniger groß ist die Gefahr in den Fällen, in denen ein geradeaus fahrender ungeschützter Verkehrsteilnehmer rechts am (fahrenden) Lkw vorbeifahren will – im Glauben, dass ihn der Lkw-Fahrer sieht und im Vertrauen auf seinen Vorrang. Die gravierenden Folgen werden deutlich vor Augen geführt, wenn man sich die Zahlen hierzu anschaut. Obgleich die Statistik beispielsweise in Deutschland keine exakten Zahlen für das „Toter-Winkel- Szenario“ enthält, haben die Experten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) vor einigen Jahren für eine Studie die hierbei schwerverletzten und getöteten Radfahrer näherungsweise eingegrenzt. Demnach ereigneten sich, hochgerechnet auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, im Jahr 2012 innerhalb von Ortschaften rund 640 Abbiege-Unfälle mit Personenschaden in einer „Toter-Winkel-Situation“. Hierbei wurden 118 Radfahrer schwer verletzt und 23 Radfahrer getötet.
Neben infrastrukturellen Maßnahmen wie etwa der Vorverlagerung der Haltelinie und zeitlich früherem „Grünlicht“ für Radfahrer können Fahrerassistenzsysteme wie der Lkw-Abbiege- und Bremsassistent diese Unfallgefahr deutlich eindämmen. Denn besagter Assistent warnt zum einen den Lkw-Fahrer rechtzeitig, wenn er trotz aller Vorsicht beim Rechtsabbiegen einen Radfahrer oder Fußgänger im rechten Seitenraum übersehen hat. Zum anderen bremst er bei Gefahr den Lkw automatisch bis zum Stillstand ab.
Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang auch die seit Jahren obligatorischen Spiegel nach 2003/97/ EC zur Verringerung des toten Winkels beziehungsweise zur Verbesserung des indirekten Sichtfelds. Dabei macht es grundsätzlich keinen Sinn, noch mehr Spiegel oder stärker gekrümmte Spiegel anzubringen. Der Lkw-Fahrer hat rechts vier Spiegel, die alle zusammen einen großen Bereich vor und neben seinem Fahrzeug für ihn einsehbar machen. Er kann sich aber jeweils immer nur auf einen Spiegel fokussieren und die hier sichtbaren Informationen bewusst verarbeiten. Die Reihenfolge der dabei genutzten Spiegel obliegt seiner persönlichen Einschätzung. Niemand sagt dem Lkw-Fahrer, ob und wann in einem der Spiegel ein Fußgänger oder Radfahrer sichtbar wird. Eine stärkere Krümmung der Spiegel ist ebenfalls nicht sinnvoll, da mit der aktuellen Krümmung bereits die Auflösungsgrenze des menschlichen Auges erreicht ist. Viel entscheidender unter den gegebenen Umständen ist die korrekte Einstellung der Spiegel. Und genau da hakt es, wie eine Untersuchung von DEKRA gezeigt hat.
Im Ergebnis hat DEKRA deshalb gemeinsam mit den Nutzfahrzeugherstellern Daimler und MAN eine Orientierungshilfe zur Spiegeleinstellung entwickelt. Neben den in einer kleinen Broschüre zusammengestellten Tipps für den Umgang mit Nutzfahrzeug- Spiegelsystemen wurde für die praktische Überprüfung der Sichtfelder, wie sie mittels aller vorgeschriebenen Einzelspiegel gewährleistet werden, eine innovative Methode entwickelt, die das optimale Einstellen der Spiegel in kürzester Zeit ermöglicht. Mit einfachen Mitteln lassen sich die entsprechenden Markierungen in jedem Fuhrpark oder auch Autohof platzieren. Diese Methode ist ein weiterer Beitrag von DEKRA, das Ziel der EU-Charta hinsichtlich der Reduzierung von Unfalltoten und Schwerstverletzten umzusetzen. In Genf wird aktuell an der Überarbeitung der Richtlinie 2003/97/EC gearbeitet. Zukünftig sollen dann statt der Spiegel überall Kameras zulässig sein. Gleichzeitig wird das abzudeckende Sichtfeld nochmals vergrößert, um die toten Winkel weiter zu reduzieren. Gleichzeitig arbeiten die Fahrzeughersteller daran, die von den verschiedenen Kameras erfassten Bilder auf dem Monitor in ein Bild umzuwandeln, damit der Fahrer sich auf eine Ansicht konzentrieren kann. Die Verwendung von Kameras statt Spiegeln dient nicht nur dem Ziel einer höheren Sicherheit, sondern hat auch ökologische Gründe – denn dadurch reduziert sich der Luftwiderstand und damit zugleich der Kraftstoffverbrauch beziehungsweise C02-Ausstoß.