Ungutes Zusammenspiel verschiedener Risikofaktoren

12. Mai 2022 News & Aktionen

Junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren zählen neben der Altersgruppe 65 plus und Motorradfahrenden zu den Hochrisikogruppen im Straßenverkehr. Die im Verhältnis zum Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung vergleichsweise hohe Unfallquote hat mit Unerfahrenheit und der oftmals höheren Risikobereitschaft ebenso zu tun wie mit der noch unvollständig ausgeprägten Fähigkeit, möglicherweise gefährliche Situationen frühzeitig zu erkennen und angemessen zu reagieren. Um im wahrsten Sinne des Wortes gegenzusteuern, müssen die unterschiedlichsten Handlungsfelder angegangen werden.

Das Mobilitätsverhalten unterliegt aktuell in weiten Teilen der Welt einem schnellen Wandel. Der klassische Pkw-Verkehr steht durch die zunehmende Elektrifizierung des Antriebsstrangs und immer höhere Automatisierungsgrade beim Fahren vor nie da gewesenen Veränderungen. Das eigene Auto als Statussymbol hat längst nicht mehr den Stellenwert wie einst, Konnektivität und Flexibilität zählen mehr als Motorleistung und Höchstgeschwindigkeit. In Europa, Nordamerika, Australien oder Neuseeland gewinnen vor allem auch unter jungen Menschen, die im vorliegenden Report im Mittelpunkt stehen, das Fahrrad und darauf aufbauende Derivate sowie Elektrokleinstfahrzeuge unter anderem aufgrund des veränderten Umweltbewusstseins immer mehr an Bedeutung.
Aufschlussreich im Hinblick auf die Verkehrsmittelnutzung im Alltag sind – beispielhaft für Deutschland – die Ergebnisse einer Forsa-Befragung, die im Herbst 2021 im Auftrag von DEKRA unter 18- bis 24-Jährigen durchgeführt worden war. Danach gaben zwar 46 Prozent aller Befragten an, mindestens mehrmals pro Woche einen eigenen beziehungsweise privaten Pkw als Fahrzeug zu nutzen. Ähnlich viele (42 Prozent) nutzen aber auch mindestens mehrmals pro Woche die öffentlichen Verkehrsmittel wie Bus und Bahn. Darüber hinaus steigen 32 Prozent mindestens mehrmals pro Woche auf das klassische Fahrrad oder Pedelec um.

VERÄNDERTES MOBILITÄTSVERHALTEN

Gerade im urbanen Bereich mit Carsharing-Angeboten, E- Scooter-Verleih und zuverlässigem ÖPNV auf der einen Seite sowie Parkplatzmangel, steigenden Kraftstoffkosten und einem zunehmenden Bewusstsein für nachhaltiges Agieren auf der anderen Seite wird dieser Trend vorangetrieben. Das geht – zumindest für Deutschland – auch aus der erwähnten Forsa-Befragung hervor. Mindestens mehrmals pro Woche wird das Auto vor allem in kleineren Städten und Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern genutzt. Die Einwohner größerer Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern nutzen hingegen häufiger den ÖPNV oder das (Elektro-) Fahrrad. Außerdem interessant: Mit Abstand am häufigsten gaben die Befragten an, dass sie Auto fahren, weil es für sie die einfachste und bequemste Lösung sei, um von A nach B zu kommen (84 Prozent). Dies gilt in hohem Maße für Befragte aus den eher ländlichen Regionen (Städte und Gemeinden bis 100.000 Einwohner). Gleichzeitig ist es für diese Befragtengruppe nach eigenen Angaben auch häufiger als für die Einwohner der Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern die einzige Möglichkeit, zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu gelangen.
Tatsache ist: Mit den neuen technischen Möglichkeiten und Mobilitätsangeboten sowie den sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich auch die Bedürfnisse und Anforderungen an zeitgemäße Formen und Konzepte der Mobilität. Ferner ist zu erwarten, dass die beschriebenen Veränderungen im Mobilitätsverhalten auch mit einer deutlichen Veränderung des Verkehrsunfallgeschehens einhergehen werden. Die größten Veränderungen sind dabei neben den im Verkehrssicherheitsreport 2021 behandelten älteren Menschen nicht zuletzt bei jungen Menschen zu prognostizieren, da diese dem Wandel sehr offen gegenüberstehen und bereit sind, Neues auszuprobieren. Insbesondere ungeschützte Formen der Verkehrsteilnahme, also zum Beispiel ohne eine umgebende Knautschzone wie im Pkw, rücken damit immer mehr in den Fokus. Daher ist tendenziell mit einer Zunahme an Verunglückten in den Segmenten der zu Fuß Gehenden und Radfahrenden sowie bei Nutzerinnen und Nutzern der Mikromobilität zu rechnen. Durch Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Infrastruktur wird auf diese Veränderungen reagiert. Zahlreiche Länder, insbesondere auch in Europa, haben in den letzten Jahren die jeweiligen Straßenverkehrsordnungen geändert und Schritte zur Gleichstellung der Verkehrsteilnehmer implementiert.
Mit den übergeordneten Zielen der „Vision Zero“, also eines Straßenverkehrs ohne Getötete oder Schwerverletzte, sowie einer ökologischen, nachhaltigen und bezahlbaren Mobilität für jeden und der Schaffung eines angenehmen Lebensstatt Verkehrsraums wird dabei der Ansatz verfolgt, dass jene Verkehrsteilnehmer, die im Falle einer Kollision am stärksten gefährdet sind, auch den höchsten Schutz erfahren. Dass dieses wichtige Vorgehen speziell bei den Autofahrenden auf wenig Gegenliebe stößt, zeigt sich überall dort, wo entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. So hatte der im Januar 2022 eingeführte überarbeitete UK Highway Code kontroverse Diskussionen in Politik und Gesellschaft zur Folge.
Auch in Deutschland stießen die 2020 eingeführten Änderungen der Straßenverkehrsordnung mit Schritten zur Gleichstellung von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden auf viel Gegenwehr. Insbesondere die entsprechenden Anpassungen des Bußgeldkatalogs wurden auch von Lobbyverbänden derart heftig kritisiert, dass wesentliche Teile rückgängig gemacht oder stark abgemildert wurden. Die erwarteten positiven Auswirkungen auf das Unfallgeschehen konnten so nicht oder nur eingeschränkt zum Tragen kommen. Dabei ist es gerade das Zusammenspiel unterschiedlicher beeinflussender Faktoren, das eine Verbesserung der Verkehrssicherheit im Allgemeinen und die bestimmter Teilnehmergruppen im Besonderen ausmacht.

DIE TEILNAHME AM STRASSENVERKEHR ERFORDERT VORSICHT UND RÜCKSICHT ZUGLEICH

Grundsätzlich ist der Handlungsbedarf in Sachen Verkehrssicherheit junger Menschen groß. Denn wie unter anderem die Vereinten Nationen beziehungsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie die von ihr 2009 mitgegründete Organisation YOURS (= Youth for Road Safety) schon vor Jahren konstatierten, kommen weltweit pro Jahr mehr junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren bei Verkehrsunfällen ums Leben als durch HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose oder Mord. Dabei ist der durchschnittliche jährliche Anteil junger Verkehrstoter je 100.000 Einwohner in Afrika, Südamerika und Asien am höchsten (Schaubild 1). Zu den bewusst oder unbewusst eingegangenen, nicht selten lebensgefährdenden Risiken zählen überhöhte Geschwindigkeit, Alkoholeinfluss, Ablenkung, das Nichtanlegen des Sicherheitsgurts und (Kraft-)Radfahren ohne Helm. Als offizielles Mitglied der United Nations Road Safety Collaboration hat sich YOURS daher – wie auch zahlreiche andere Institutionen – für die Aufnahme von Verkehrssicherheitszielen in die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen eingesetzt. Ebenso macht sich YOURS weltweit dafür stark, die Verkehrssicherheit junger Menschen noch mehr in den Fokus nationaler Strategien zu rücken – erst im März 2022 zum Beispiel beim African Youth SDGs Summit.
Klar ist: Von heute auf morgen wird sich die Zahl der jungen Straßenverkehrsopfer nicht verringern lassen. Um langfristig zu wirken, ist daher ein strategischer Ansatz erforderlich. Ein Ansatz, der beispielsweise die stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Problem und die notwendige Aufklärung mit begleitenden Kampagnen ebenso umfasst wie die Fahrausbildung und die Prüfung zur Erlangung der Fahrerlaubnis, die konsequente Durchsetzung von Vorschriften sowie den gezielten Einsatz moderner Technologien,etwa Fahrerassistenzsysteme. Nicht vergessen werden dürfen darüber hinaus entsprechende Infrastrukturmaßnahmen etwa im Hinblick auf die fehlerverzeihende Straße. Die angerissenen Themenkomplexe zeigen: Junge Menschen bilden im Straßenverkehr ein mit vielen Herausforderungen behaftetes Spannungsfeld. Und das soll in den folgenden Kapiteln näher beleuchtet werden.